Stück über Kollaboration in Paris
Braune Werkhalle der Geschichte
von Eberhard Spreng
Der französische Regisseur Silvain Creuzevault untersucht politische Denkrichtungen in der europäischen Geschichte. Mit „Notre Terreur“ über die französische Revolution wurde er 2009 international bekannt. Nun zeigt er am l’Odéon-Théâtre de l’Europe „Edelweiss – France Fascisme“: Die französische Rechte der 1930-er und 1940-er Jahre.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 26.09.2023 → Beitrag hören
Im zweiten Spielort des Théâtre de l’Odéon inszeniert Silvain Creuzevault sein „Edelweiss“. Die so genannten „Ateliers Berthier“ sind eine große Halle im Industriestil, in denen hohe Stahlträger die Dachkonstruktion halten. So als wäre es Teil dieser Konstruktion aus dem Ende des 19. Jahrhunderts, besteht das Bühnenbild lediglich aus einigen in die Träger eingefügten Zwischenstreben, um große Fensteröffnungen zu markieren oder eine große Tür. Eine holzvertäfelte Telefonzelle steht im weiten Spielraum, den Akteurinnen und Akteure in beigen, brauen und grauen Kostümen bevölkern. Wir sind in einer Maschinenhalle der Vergangenheit, in der eine der unrühmlichsten Episoden der französischen Geschichte verhandelt wird.
„J’ai contracté une liaison avec le génie allemand…“
„Ich bin eine Verbindung mit dem deutschen Genius eingegangen. Wir haben kooperiert. Jeder Franzose, der etwas nachgedacht hat, hat mehr oder weniger mit Deutschland in einem Bett gelegen.“ Das sagte Robert Brasillach im Januar 1945 vor einem Geschworenengericht, das dem Kollaborateur und Antisemiten „Einvernehmen mit dem Feind“ vorwarf. Der Schriftsteller und Journalist wurde wenig später hingerichtet. Es sind unter anderem Biografien von Intellektuellen der Jahre 1936 bis 1945, die Silvain Creuzevault interessieren. Aber auch einige Politiker sind Teil des Figureninventars: Z.B. Pierre Laval, Nummer zwei der Vichyregierung. Man sieht ihn in Verhandlungen mit dem einstigen deutschen Botschafter. Deals um die Rückkehr der französische Krieggefangenen werden geschlossen, immerhin sind das, Handwerker, Arbeiter, Bauern, die auch Frankreich dringend braucht, zum Beispiel um das Getreide zu ernten, das die Deutschen in Frankreich requirieren. All das wird in schnell skizzierten Szenen verhandelt; den Wandel von Mentalitäten in der Bevölkerung bebildern burleske Situationen, die an Stammtischgerede erinnern:
Es entsteht ein groß angelegtes Sittenbild, in dem das neunköpfige Ensemble dreißig Figuren der Zeitgeschichte verkörpert. Es scheut nicht vor der Karikatur zurück, operiert mit Bühnenformen des Agit-Prop, zitiert virtuos Brechts episches Theater. Äußerst unterhaltend ist dieser Blick zurück in eine fatale Mentalität, die sich im Anti-Bolschewismus, Antisemitismus und Antiamerikanismus eingerichtet hat: Kollaboration mit Nazi-Deutschland verstand sich als pro-europäisches Projekt.
„Si la France veut conserver sa puissance mondiale … “
„Wenn Frankreich seine weltweite Macht behalten und sich auch weiterhin als für Europa würdig erweisen will, dann muss es sich an Deutschlands Seite gegen den Bolschewismus stellen“, so heißt es. Mit „Edelweiss – France Fascisme“ setzt Silvain Creuzevault eine Geschichtsbetrachtung fort, die er in Straßburg mit einer großartigen Bearbeitung des Peter-Weiss-Romans „Die Ästhetik des Widerstandes“ begonnen hatte. Auch hier soll das Theater dazu dienen, die Geschichte zum Verstehen der französischen Gegenwart nutzbar zu machen. Denn diese Gegenwart ist von einem schleichenden Vormarsch rechten Denkens in Kultur, Politik und Medien geprägt. Zu einem auf eine bühnengroße Gaze projizierten Gewitter von Bildern aus der heutigen Gesellschaft und zum hämmernden Stakkato aus den Lautsprechern gibt Charlotte Issaly ein Digest rechter Apercus zum Thema Dekadenz.
„Comment, en effet, ne pas adhérer à l’idée de la décadence…“
„Wie wollte man die Dekadenz Europas leugnen, das einmal die Spitze der Zivilisation war“, das sagt Romancier Michel Houellebecq. „Die Erklärung der Menschenrechte markiert den Beginn von Frankreichs Untergang“, sagt Jean-Marie Le Pen. „Frankreich und Europa stehen vor dem Taumel ihres Verschwindens.“, sagt Nicolas Sarkozy. Die Schauspielerin wird hier zum Zitator rechter Sprüche von heute. Und Louis-Ferdinand Céline? Der wohl berühmteste Chronist und Mitläufer der Vichy-Regierung, Er kommt nur einmal auf die Bühne, entleert seinen Darm in der Mitte der Spielfläche, steckt den Zeigefinger in seine Exkremente und markiert mit dem braunen Zeug auf seiner Oberlippe ein Hitlerbärtchen. Seine Sprache ist zu einer unverständlichen Karikatur von Führerreden geworden. Celine als Gespenst. Wie böse der Regisseur auf dieses und alle anderen rechten Gespenster in Frankreich ist, mag man an der Deftigkeit dieses Bildes ermessen. „L’éthétique de la Résitance“ und jetzt „Edelweiss -France Fascisme“ bilden ein Diptychon über Denkfiguren aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Das linke Bild hatte mehr historische Tiefenperspektive, das rechte ist ein Wimmelbild voll verirrter Dämonen, deren Denken bis in unsere Gegenwart hinein irrlichtert.
Silvain Creuzevault inszeniert Peter Weiss: „Ästhetik des Widerstands“