Nachruf Alexander Lang
Ein Akteur am Regiepult
Von Eberhard Spreng
Er war eine der prägenden Regiehandschriften im deutschen Theater. Zunächst als Filmschauspieler aktiv, wechselte Alexander Lang bald ins Regiefach, wo er in den beiden Teilen Deutschlands, aber auch in Frankreich viel beachtete Klassiker-Inszenierungen herausbrachte. Am 31.05.2024 starb Alexander Lang mit zweiundachtzig Jahren.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 31.06.2024 → Beitrag hören
Wir schreiben das Jahr 1977. Drei Schauspieler proben am Deutschen Theater für die DDR-Erstaufführung eines Stückes des DDR-Dramatikers Heiner Müller. Es ist „Philoktet“, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Stalinismus und eine Parabel für die letztlich unbeantwortbare Frage nach dem Recht des Einzelnen gegenüber dem der Gemeinschaft. Die Titelrolle spielt Alexander Lang.
„Haut mir die Beine ab mit einem Eisen, dass die
Nicht gegen meinen Willen mit Euch gehen.“
Nach Stationen am Gorki-Theater und dem Berliner Ensemble war der talentierte junge Schauspieler an das führende Haus des DDR-Theaters gekommen und hatte dort unter anderem in Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ die Hauptrolle gespielt. Bei den Proben des Stücks des umstrittenen Gegenwartsautors Heiner Müller fand er sich nun aber zusammen mit zwei weiteren Schauspielkollegen plötzlich allein auf der Bühne wieder. Die Regisseure waren an der Aufgabe gescheitert, das Stück DDR-kompatibel zu inszenieren und hatten hingeschmissen. Nun probten die Schauspieler in Eigenregie.
„Wir haben dann so gearbeitet, dass wir wechselseitig unten gesessen haben und uns beurteilt haben und dann gemeinsam neue Varianten festgelegt haben und das Stück versucht haben aufzuschlüsseln.“
Der Schauspieler entdeckt sich selbst als Regisseur. Alexander Lang wechselt immer mehr ins Regiefach und ringt fortan um eine neue Theatersprache vor allem für die Klassiker, die als Grundfesten eines sozialistischen Nationaltheaters galten, was aber zu einer ästhetischen Erstarrung geführt hatte. Lang befreit den Blick auf die Gefühlswelten seiner Figuren – und die vom Staub der Konventionen. Auch den psychologischen Realismus nach dem Vorbild eines Konstantin Stanislawski will er überwinden. Seine Schauspieler agieren bewusst manieriert, körperbetont, mit weiß geschminkten Gesichtern, mit Anleihen bei der Commedia dell’Arte. Dramatische, ja tragische Momente werden unvermittelt durch Komik gebrochen, seine Figuren sind Zerrissene, die auf den ersten Blick unvereinbare Regungen in sich tragen.
„Mich interessiert durchaus die Melancholie und die Zartheit. Es kippt ja auch immer zwischen Tragischem und Komischem hin und her. Das macht mir auch am meisten Spaß am Theater, muss ich sagen. Das ist auch ein Prinzip, das es bei Shakespeare schon gibt.“
Alexander Langs Inszenierung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ leistete 1980, was jede gute Kunst leisten muss: Die Aufführung spaltete das Publikum in begeisterte Liebhaber und erbitterte Feinde. Für Büchners „Dantons Tod“ ließ er Christian Grashof, mit dem er immer wieder zusammenarbeitete, sowohl den Titelhelden Danton als auch den politischen Kontrahenten Robespierre spielen. Er fusionierte das Unvereinbare in ein und demselben Darstellerkörper. Umgekehrt ließ er in Stück-Doppelinszenierungen dramatische Haltungen miteinander kollidieren. Und schafft so Bruchstellen: Goethes idealisierte „Iphigenie auf Tauris“ stößt auf Grabbes zynisch pessimistischen Theodor von Gothland. Das war 1984 am Deutschen Theater. Dann kollidieren weibliche Mythenbilder mit Heinrich von Kleists „Penthesilea“ und der „Phädra“ des „Racine“. Das war an den Münchner Kammerspielen, 1987, mit Gisela Stein in den Titelrollen. Da schärfte ein Stück den Blick auf das andere. Immer wieder provozierte Alexander Lang dabei mit seinen klugen Klassikerausdeutungen beim Publikum das Lachen der Erkenntnis.
“Ich denke, dass dieser Wahnsinn in den Figuren und in den Stücken drin ist. Da ist ein wahnsinniges Tempo drinnen und die Leute kommen, ob sie nun wollen oder nicht, in groteske und auch komische Situationen und müssen sich darin verhalten. Das ist wie im täglichen Leben auch. Es wird oft so getan, als seien klassische Stücke schön und langweilig. Und sie sind es überhaupt nicht, denn das waren auch einmal junge Dichter, das vergisst man immer.“
Alexander Lang, der bereits vor der Maueröffnung auch außerhalb der DDR inszenieren konnte, war auch im europäischen Ausland ein begehrter Gastregisseur. Er inszenierte am NTGent und an der Pariser Comédie-Française. Dort brachte er seinen ‚Prinzen von Homburg’“ des deutschen Klassikers Heinrich von Kleist ans französische Traditionshaus, kurz nachdem er den „Cid“ des französischen Klassikers Corneille am Deutschen Theater inszeniert hatte. Das war im Jahre 1993.
“Für die Zeit von Corneille war das Problem, dass die Leute sehr emotional sich ausgelebt haben, bis hin zu Duellen, die täglich stattfanden. Diese Emotionalität musste zugunsten einer bestimmten zivilisatorischen Ordnung zurückgedämmt werden. Die Dämpfung der Gefühle war dort das Programm, während in Deutschland zu Kleistzeiten die Gefühle schon so gedämpft waren, über die Misere der ganzen Zeit hinweg, dass der Kleist den Gegenpol: Er musste sich aufputschen; also der musste genau das Gegenprogramm unternehmen.“
Was es mit dem Furor Teutonicus auf sich hat, hat Alexander Lang immer wieder untersucht. Auch, was der oft grotesk geschilderte Ausbruch von Gewalt mit der Unterdrückung von Gefühlswelten zu tun hat. Am West-Berliner Schillertheater inszenierte er kurz vor dessen Schließung Schillers „Räuber“, wie immer in produktiver Reibung am deutschen Klassikerbild und an den ästhetischen Traditionen der Darstellung an den großen staatlichen Theaterhäusern.
„Ich war als junger Schauspieler am Berliner Ensemble; das war halt belastet durch den Brecht. Oder das Deutsche Theater, das hat seine Geschichte seit Max Reinhardt. Ich kenne Häuser mit Geschichte, auch die Kammerspiele mit Kortner. Es macht auch Spaß, damit zu spielen. Man kann ja auch gegen diese Last der Geschichte angehen und daraus einen produktiven Punkt machen.“
Im neuen Jahrhundert kehrte Alexander Lang als Darsteller in Hauptmanns „Vor Sonnenuntergang“ auf die Bühne des Gorki-Theaters zurück, also dahin, wo seine Theaterkarriere als Schauspieler begonnen hatte. Und er inszenierte dort auch noch einige Male. Dann wurde es immer stiller um den großen Klassiker-Erneuerer. Doch seine Impulse waren von Regisseuren wie Frank Castorf aufgegriffen und weiter radikalisiert worden. Alexander Lang war einer der wenigen großen deutschen Regisseure, die beim Blick auf Stoffe immer auch die andere Perspektive einnehmen konnten, die des Schauspielers.