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Yasmina Reza inszeniert eigenes Stück
Edelboulevard im Nationaltheaterformat
von Eberhard Spreng

Das deutsche Publikum kennt Yasmina Reza als Autorin bissiger Gesellschaftskomödien: „Kunst“ oder „Der Gott des Gemetzels“ waren große Erfolge. Ihr neues Stück heißt „James Brown trug Lockenwickler“, umspielt Identitätsfragen und wurde in München uraufgeführt. Nun inszeniert die Autorin ihr Stück „James Brown mettait des bigoudis“ in Originalsprache am „Théâtre de la Colline“.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 21.09.2023 → Beitrag hören

Foto: Ann Ray

Gewaltige Bühnenelemente fahren von den Seiten zu einem großen Rahmen zusammen, während hinten ein flächendeckendes Video einer opulenten Parklandschaft zu bewundern ist. Yasmina Rezas Inszenierung des eigenen „James Brown mettait des bigoudis“ kommt bildmächtig daher. Aber diese Bildwelt erzählt letztlich die Geschichte einer Heilanstalt, in der Menschen mit Phantasien behandelt werden. Ganz anders war dies in der Münchner Uraufführung, die Kritikern zufolge die Welt selbst als phantastischen Raum begriff, in dem eine jede und ein jeder Recht darauf hat, ein märchenhaftes Fabelwesen zu sein.

Begleitet von zwei Musikern entfaltet die Aufführung unter der Leitung der Autorin am Théâtre National de la Colline ein weiträumiges Tableau um zwei Paare, die eine zentrale Figur umkreisen. Da sind die biederen, leicht ältliche Eltern, die nicht begreifen wollen, dass ihr Sohn sich für eine berühmte Sängerin hält und sich mit einem anderen Anstaltsinsassen anfreundet, der glaubt, eine Person of Colour aus der Karibik zu sein. Im Zentrum eine Psychologin, die für alle Diversionen im Selbstverständnis von Menschen Erklärungen hat. Geduldig spricht sie mit den verstockten Eltern der selbsterklärten Transperson.

„Nous sommes la gaité même… – C’est une écorché vive, vous ne pouvez pas la berner …“

Startheaterschauspieler André Marcon behauptet eine nicht vorhandene Lebensfreude und spielt einen Vater, der keinen Begriff von dem Familiensystem hat, aus dem der Sohn in genderfluide Erfahrungswelten ausbüchst. An seiner Seite allesamt ansehnliche Akteurinnen und Akteure und ein Micha Lescot als Sohn, der selbst in seinen freudvollen Momenten abgrundtiefe Melancholie ahnen lässt. Vielleicht ist diese Inszenierung etwas zu psychologisch, vielleicht fehlt ihr die „wunderbare Leichtigkeit“, die man der Aufführung in München attestierte. Vielleicht ist sie zu bildgewaltig für die relative Balanglosigkeit des Plots. Yasmina Reza macht in Paris deutlich, dass man ihr Stück nicht als Pamphlet gegen den Genderwahn lesen sollte. Oder als Kritik an einer überdrehten Ökobewegung. Schließlich kettet sich da jemand an ein Bäumchen, das er eigenmächtig in die geschützte Parkanlage gepflanzt hat. Gender, Race, Umwelt, alles Mögliche wird angedeutet, was in anderen Kontexten erhebliches Streitpotential hat. In einem Bild macht Reza dann doch im freien Spiel um Identitäten so etwas wie eine Haltung deutlich. Bühne und Licht fokussieren auf einen kleinen Ausschnitt. Und in dem steht Psychologin Christèle und plädiert in einem zentralen Monolog für Aschenputtels Schwestern: Lob dem, der nicht in den Schuh passt, will sagen ins Korsett der Erwartungen und Normierungen des eigenen Selbst.

„Les Soeur de Cendrillon tels qu’elles aparraîssent chez les frères Grimm … “

Aschenputtels vom Märchen gepeinigte Schwestern als Urbilder queerer Lebenswege? Yasmina Rezas sehr ansehnliche Inszenierung, eine Art Edelboulevard im großen Staatsschauspielformat, ist, wie zu erwarten war, stücktreu und stiftet kaum neue Erkenntnisse. Sie war dem Pariser Premierenpublikum nur einen lustlosen Applaus wert. Aber das mag auch daran liegen, dass man in Paris auf Reizpotentiale im Genderkontext möglicherweise viel gelangweilter reagiert als in Deutschland.