Verschwörungsmythen auf dem Theater
Im Dickicht der Trolle
von Eberhard Spreng
Mit „Slippery slope“ war die israelisch-stämmige Regisseurin Yael Ronen gerade zum Theatertreffen geladen, nun legt sie zusammen mit dem ehemaligen Gorki-Ensemble-Mitglied Dimitri Schad eine weitere Arbeit vor, in der eine weitere tagesaktuelle Debatte gespiegelt wird. „Operation Mindfuck“ versenkt sich in Geschichte und Gegenwart von Verschwörungserzählungen.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 29.05.2022 → Beitrag hören
„Ich hacke keine Handys, ich hacke Menschen“ sagt die Chefin beim Vorstellungsgespräch. Welche Dimension diese etwas diabolische Aussage für das Leben der jungen Alice noch haben wird, ahnt sie noch nicht, als sie zum ersten Mal die Trollfabrik betritt, in der sie mit ihrem Talent fürs Fabulieren wilder Verschwörungstheorien reüssieren wird. Freundin Maze arbeitet dort schon; beide haben gerade eine Studium hinter sich – irgendwas mit kreativen Schreiben und Kulturjournalismus – und wollen durchstarten. Maze erklärt Alice den neuen Arbeitsplatz.
MAZE „Hier im ersten Stock produzieren wir.“
ALICE „Warte, warte. Was produzieren wir? Ich dachte, wir spionieren Leute aus.“
MAZE „Spionieren? Nein, wir sind keine Spione … wir sind Trolle … das ist eine Trollfabrik und wir schreiben Fake News. Fangen wir langsam an. Wir haben hier 2 Abteilungen. Kommerziell und politisch. Die kommerzielle Abteilung zielt auf Klicks ab. So advertisers love working with us. Because Fake News are three times more popular than old-school news.”
Im Wechsel von Deutsch und Englisch kollagiert der von Yael Ronen und Dimitri Schad konzipierte Abend diverse Mythen und Geschichten rund um alternative Wahrheiten, Fake-News, Parodie-Religionen bewusstseinserweiternde Experimente. So erkundet die Erzählerfigur Alice – klar, man darf an Alice im Wunderland denken – einen Kaninchenbau voller Verschwörungserzählungen. Von Robert Shea und Robert Anton Wilson und ihrer Illuminatus-Trilogie vom Anfang der 1970er Jahre ist die Rede, Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald taucht kurz auf, von zen-buddhistische Koans, mit denen sich die Unzulänglichkeit des logischen Denkens nachweisen lässt. Dann wird über das Schicksal des Jungen fabuliert, dessen Porträt die Kinder-Schokolade einst zierte. Dieses sogenannte Kinder-kind soll heute als Outsider in den Wäldern leben und in einem abgedrehten psychosozialen Experiment zu „Germanys next Bundeskanzler“ gemacht werden. In die Rahmenhandlung um Fake-News-Autorin Alice schiebt sich nun eine weitere Erzählung, in der ein von Taner Şahintürk gespielter Berater einen Hinterwäldler fürs Polit-Medien-Geschäft ummodelt. Till Wonka spielt eine grenzdebile, heftig sächselnde Schießbudenfigur, quasi eine deutsche Donald-Trump-Karikatur.
„Klar kann ich ihnen Bitcoins erklären. Also pass auf: Machste deinen Rechner an, bing bing bang böing, hat dieses Ding, die chain. Und den Block, und dann wartste wartste, wartste und dann sagste: Hey, gib mir das Geld. Ich möchte jetzt mein Geld. Wo ist mein Geld? Und dann irgendwann kommt ein Koffer mit unmarkierten Scheinen, ganz normal.“
Die Bühne wird zum kranken Gehirn
Magda Will hat für Yael Ronen eine Bühne aus Glaswänden gebaut, in die Videodesigner Stefano Di Buduo psychedelische Bildwelten projiziert. Einige von ihnen reichen bis tief in den Zuschauerraum: Computeranimierte Muster, die den Heile-Welt-Realismus vom Anfang nun ersetzen. Die Bühne selbst wird Abbild für ein wild fabulierendes Gehirn, dem die sicheren Raumkoordinaten ebenso entgleiten wie die Grenze für die Erfindungen auf Alices Social-Media-Account.
„Je kryptischer, absurder die Verschwörungstheorie war, desto populärer wurde sie. Man musste nicht mal ein großer Verschwörungstheoretiker sein, um mit dem, was ich schrieb, etwas anfangen zu können. Man musste lediglich ein minimales Misstrauen gegenüber den üblichen Verdächtigen haben: den globalen Eliten, den Banken, den Politikern, Big Tech, Big Pharma, Big Media, der Ölindustrie, der Waffenindustrie, Hollywood. Und natürlich … Juden.“
Erklärt wird in der kabarettistischen, grellen Farce natürlich auch, warum Menschen so leicht zu Opfern von Verschwörungsnarrativen werden: Sie brauchen für ihren Seelenfrieden einfach verbindende Erzählungen für all die zusammenhangslosen Informationen, die täglich auf sie einprasseln. So öffnet sich ein Raum bis hin zur politischen Manipulation, für den ganz großen Mindfuck auf globaler Ebene. Bis zum Unternehmen Cambridge Analytica, das via Facebook die Trump-Wahl manipulierten, reicht der Aufklärungsimpetus der Aufführung, bis zu Putins Trollfabriken aber doch nicht. Aber immerhin schildert sie am Ende, wie selbst die Manipulateure Opfer ihrer Erfolge werden. Der Versuch allerdings, von der subkulturellen Bewusstseinserweiterung der 1960er und 70er Jahre eine Verbindung zu massenhafter digitaler Manipulation heute zu schlagen, bleibt leider in Ansätzen stecken. „Operation Mindfuck“ ist brillant gespieltes Entertainment, das aber das Niveau der vorangegangenen Arbeit „Slippery slope“ nicht erreicht.