Yael-Ronen-inszeniert-Death-Positive-am-Gorki-Theater

Theater im Coronamodus
Ars Moriendi
von Eberhard Spreng

„Death Positive – States of Emergency“ thematisiert Krankheit, Tod und Untergang anlässlich der pandemischen Coronasituation. Yael Ronen sucht am Gorki Theater nach dem richtigen Weg zum Ende.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 03.10.2020 → Beitrag hören

Foto: Ute Langkafel

Natürlich Flatterband: Niels Bormann spannt es während seines einleitenden Monologs im Karree auf der Bühne des Gorki-Theaters aus und markiert ein ca. 20 Quadratmeter großes Terrain. Und das verteidigt er im Dienste der Abstandregeln vehement gegenüber seinen Ensemblekolleginnen- und Kollegen. Außer diesem typischen Requisit des Lockdowns hat er einen Zettel mitgebracht, zitiert aus den Regeln, die der Berliner Senat den Theatern der Stadt auferlegt hat und leitet daraus für den kurzen, eineinviertelstündigen Abend einige Ankündigungen ab:

„Wir sind gesetzlich verpflichtet, dass alles was wir hier aufführen, ausgewogen ist – damit das Publikum in einem gesunden, sicheren, neutralen Mittelzustand gehalten wird.’ Nicht zu lustig, damit nicht gelacht wird. Nicht zu traurig, damit nicht geweint wird und sich dann auch noch die Nase geputzt wird. Nicht zu langweilig, damit nicht gegähnt wird.“

Yael Ronens Textkollage ist der Theaterkommentar in eigener Sache zur aktuellen Gesundheitslage. Es wird also auf sehr cleaner, sehr weißer Bühne mit phantasievollen Schutzanzügen und kuriosen Kopfbedeckungen umherstolziert, mit Sprühflaschen die Luft vor sich desinfiziert, aber auch die vielen bunten Stoffkatzen, die sich auf dem Boden und auf Klopapierstapeln niedergelassen haben und richtig schön miauen können. Und wenn sich jemand auf der Vorderbühne allzu sehr in Richtung auf das Publikum vorwagt, ertönt zu knallrotem Licht ein markerschütternder Warnton.

Foto: Ute Langkafel

Das ist natürlich alles recht kabaretttheatral und lustig, auch wenn Aysima Ergün in einer weiten zeltartigen Körperbedeckung die Verschwörungs- und Prepperszene aufs Korn nimmt.

„Also wacht auf und realisiert was sie tun und bereitet euch vor. Ich rede nicht davon in den Supermarkt zu gehen und Pasta und Klopapier zu kaufen. Ihr solltet zu Decathlon gehen und Laufschuhe besorgen, um zu laufen, Kletterschuhe, um zu klettern und Gleitschuhe, um zu gleiten.

Dem Abend zugrunde gelegt ist die modische Vorstellung vom Epochenende, von zivilisatorischem Untergang und Zeitenwechsel. Und deshalb wird mit Dante und seiner „Göttlichen Komödie“ ein Säulenheiliger poetischer Transformationen herbeizitiert. Der finstere Wald, in dessen Dickicht seine Dichtung ihren Anfang nimmt, scheint sich verändert im Dekor wiederzufinden: Es besteht nun aus den Videoprojektionen von Verästelungen im menschlichen Körper, grafischen Darstellungen von Adern, Knochen, Faszien. Das Virus konfrontiert uns mit der unergründlichen biologischen Seite unseres Lebens, wenn Lea Draeger in ihrem Monolog von Erfahrungen der Quarantäne, Isolation und Krankheit berichtet.

„Ich hänge in einem Geflecht aus Sehnen und Adern. Ein Lungenflügel hat sich abgeknickt in meinen Rücken gebohrt. Irgendwo weit weg pocht ein Herz. Es ist ein leises Herz.“

Die Aufführung gerät nun ins Schattenreich des Todes und feiert die Ars Moriendi, die Kunst des Sterbens. Orit Nahmias berichtet vom Tod ihres Vaters, der ihr selbst eine neue Lebensdimension eröffnete.

Konkurrenz in der Kunst des Sterbens

Knut Berger erzählt vom vorbildlichen Sterbeprozess seiner krebskranken Mutter, mit dem der dann folgende Tod des Vaters nicht konkurrieren konnte. Ein familiärer Wettstreit der Sterbenden, in dieser letztlich einzigen wichtigen Meisterleistung, die allen Lebenden bevorsteht. Die Regisseurin hat das Stück, wie in vorangegangenen Arbeiten, zusammen mit dem Ensemble entwickelt und dessen Erfahrungen mit verarbeitet. Da entstehen einige emotional berührende Momente, aber sie bleiben unverbunden, eine Nummernfolge von Monologen, mit der Pointe des kollektiven Untergangs.

„Wird der Zusammenbruch plötzlich kommen wie ein Erdrutsch, oder ist es ein langer Prozess, wie wenn Wasser einen Felsen erodiert?“

Klebriger Kitsch trieft aus der weihevollen Untergangsfeier, zu der die ansonsten doch politisch so kluge Regisseurin allerdings auch keinen Kontrapunkt mehr findet. Es endet mit einem Niels Bormann, der, wiederum allein auf der Bühne, nichts mehr fürchtet, als dass das Licht ausgeht und ihm die Worte, und dass damit alles Theater zu seinem Ende kommt. „Death Positive – States of Emergency“ ist eine selbstironische, aber doch auch latent selbstmitleidige Theaterminiatur über den Tod des Theaters.