William Kentridge macht sich in The great yes the great no auf die Reise

Uraufführung im Luma in Arles
Crossover der Kulturen
von Eberhard Spreng

Die Kammeroper „The great yes, the great no“ des südafrikanischen Multitalents William Kentridge wurde im Kunstareal Luma im südfranzösischen Arles uraufgeführt. Das Luma betreibt hinter dem emblematischen Turmneubau des Frank Gehry weitere Ausstellungsflächen in ehemaligen Eisenbahnausbesserungshallen. Neben der Aufführung eröffnet die Ausstellung „Je n’attends plus“ so einen Einblick in Kentridges Bilderuniversum.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 08.07.2024 → Beitrag hören


März 1941 im Hafen von Marseille. Über 200 Intellektuelle und Künstler besteigen ein etwas in die Jahre gekommenes Frachtschiff, das man für den Passagiertransport umgebaut hat. Unter ihnen Anna Seghers, deren Exilroman „Transit“ später weltberühmt wurde, der Surrealistenpapst André Breton, der Ethnologe Claude Lévi-Strauss. Auf dem europäischen Kontinent rücken die Faschisten vor, Frankreich ist besetzt, die Fahrt eine Frage des Überlebens. Ziel der Reise ist Martinique. Das kulturelle Dazwischen, das Floaten der Identitäten ist der poetische Kern in der Inszenierung des weißen südafrikanischen Künstlers William Kentridge. Hinter dem Bühnenaufbau, das ein Schiffsdeck mit Plattformen, Auf- und Niedergängen andeutet, flimmern diverse Bildfragmente über eine gewaltige Videoleinwand. Vorne steht bühnenoffen ein schwarzer Erzähler. Er steht für den Fährmann Charon der griechischen Mythologie, der an Bord seines Schiffes all jene Menschen willkommen heißt, die die Vichy-Regierung als Unerwünschte gebrandmarkt hat:

“A helping hand to all the undesirables: Gypsies, Jews, communists, free-thinkers, surrealists …“

Kentridge macht in seiner musikalischen Revue Anleihen bei Bühnenformen der 20er Jahre und des Agit-Prop: Die Akteurinnen und Akteure halten sich Pappgesichter vor den Kopf und die zeigen neben Trotzki, Lenin und Stalin, die Antlitze von Josefine Baker, Aimé Césaire und Frantz Fanon, allesamt prominente Protagonistinnen und Protagonisten im Kampf gegen Kolonialismus und Rassismus. Als zentrale Figur tritt immer wieder Susanne Césaire in Erscheinung: Politik, Poesie und literarische Appelle mischen sich in ihren Äußerungen.

„Seit drei Jahrhunderten schon dauert das koloniale Abenteuer. Unsere Poesie wird kannibalisch sein oder sie wird nicht sein.“  wird hier Suzanne Césaire zitierend, aus einem ihrer Texte in der antikolonialistischen Kulturzeitschrift „Tropiques“, das die Vichy-Regierung dereinst als subversiv verboten hat.

Mit Suzanne Césaire, der Ehefrau von Aimé Césaire, dem Vordenker der Négritude-Bewegung in Literatur und Politik, hat die Aufführung ihren historischen Kontext der Überfahrt der Europäer längst hinter sich gelassen. Kentridges Schiff ist ein Versuchslabor der Kreolisierung, einer als positiv verstandenen Vermischung der Kulturen. Auch das kleine Orchester aus Klavier, Perkussion, Akkordeon und Cello unterstützt den Mix aus afrikanischen und karibischen Elementen. Kurz einmal taucht aber auch der europäische Streichquartett-Sound wie eine verwehte Erinnerung an eine Kultur auf, die die Emigranten nun hinter sich lassen müssen.

Musikzitate auch beim Auftritt einer leicht veralberten und verdoppelten Figur: Surrealisten-Vordenker André Breton begleitet ein Walzer wie beim populären französischen Bal-Musette. André Breton und Suzanne Césaire waren befreundet: Zwischen Surrealismus, Négritudebewegung und Antikolonialismus gab es Querverbindungen, die William Kentridge hier andeutet. Aber: Der berühmte südafrikanische Künstler ist vor allem Bildermensch. Die französischen Kollaborateure um Maréchal Pétain haben Köpfe wie Kaffeekannen, Zirkel kreiseln über alte Seekarten, dann Tänzerbeine übers Parkett: Allegorien in Kollage, Zeichnung und Videoanimationen schaffen immer wieder verblüffende Erkenntnisse. Die makaberste: Messer und Gabel eines weißen Menschen wollen die abgetrennte Hand eines Farbigen für den Verzehr aufspießen und zerschneiden, aber die regt und windet sich auf dem Teller und lässt sich nicht fassen: Die mörderische Ausbeutung kommt an ihr Ende.

Die Musik des südafrikanischen Komponisten Nhlanhla Mahlangu kommt in einer überzeugenden Ensembleleistung zum Klingen. Bilder und Musiken spiegeln eine Kultur, die sich nicht auf ein Konzept reduzieren lässt und immer schon von einer Diversität geprägt war, die abendländische Gesellschaften erst noch lernen müssen. Aber alles das bleiben gedanklich Bruchstücke, denen ein dramaturgischer Flow fehlt.

Die Aufführung wird in der großen Halle im Kunstareal „Luma“ in Arles gezeigt und das präsentiert in einer Nachbarhalle auch eine Ausstellung des südafrikanischen Künstlers, die große Teile des visuellen Kentridge-Universums präsentiert, aus dem die Aufführung schöpft. Und irgendwie ist diese Materialschau überzeugender als „The great yes, the great no“ auf der Bühne.