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Ukrainisches Exiltheater in Frankreich
Die Heimat im Rollenkoffer
von Eberhard Spreng

Kurz nach dem Beginn des Überfalls Russland auf die Ukraine verließ der Theaterchef Vlad Troitskyi Kiew, ebenso wie sechs der sieben Performerinnen der „Dakh Daughters“. Im normannischen Vire fanden sie am dortigen Theater Aufnahme und Produktionsmöglichkeiten. Dort entstand „Danse Macabre“, das aber am Odéon-Théâtre de l’Europe in Paris uraufgeführt wurde.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 18.06.2022 → Beitrag hören

Foto: Oleksandr Kosmach

Kleine Pappfassaden stehen auf der linken Bühnenseite verstreut. Ihre Fensterchen leuchten heimelig, das Abbild einer nächtlichen Stadt. Rechts stehen Musikinstrumente im Halbkreis und kaum haben die Dakh Daughters die Bühne erobert, in Tutu über Glitzeroverall, rocken sie los, rufen das Publikum zum Mittanzen auf. Ihr „Rozy Donbass“ hatte 2014 den Euromaidan elektrisiert; die Frauenband ist zupackend und beweist das auch zu Beginn ihres finsteren Totentanzes. Aber: Es ging zum furiosen Anfang nur um das Schaffen einer Fallhöhe und darum, eine ukrainische Feierlaune spürbar zu machen, die es vor dem Elend des Krieges einmal gab. Die Fenster der Häuschen leuchten nun rot auf, ein Bild des Feuers, und werden schließlich von der Bühne gebracht. Rollenkoffer bevölkern jetzt den leeren Raum: eine Choreographie des Umherirrens; die Dakh Daughters kleiden jetzt beige Trenchcoats, ein Universalcode für Menschen unterwegs. Ein erster Text erinnert an den alttestamentarischen Hiob und die Prüfungen seines Glaubens.

Der unermessliche Reichtum des frommen Mannes drückt sich in Zahlen aus. Wenig später sind es wiederum immer mehr ansteigende Zahlen, die als Chiffren des Todes zu verstehen sind: Opferzahlen in Städten wie Butscha. Schwer erträglich auch ist später der Bericht einer Frau, deren Mann vor der Haustür von zwei russischen Soldaten ermordet wird, die dann ins Haus eindringen, die Frau vergewaltigen, ein Frau, die derweil die grässlichen Schreckensschreie ihres kleinen Kindes mit anhören muss, das sie in ein Nebenzimmer gebracht hatte. Der „Danse Macabre“ der Dakh Daughters ist Anklage, Bericht, musikalische Revue mit diversen Instrumenten, zwischen Eric Satie, Postpunk und ukrainischen Volkweisen, von melismatisch und schrill bis zur lyrischen Klage.

Foto: Oleksandr Kosmach

Immer wieder werden die Berichte abgelöst oder begleitet von choreographierten Bildern des Kriegs- und Flüchtlingselends. Rollenkoffer, die ineinander fahren, hinter denen man sich verschanzt, Rollenkoffer, die zum Rollator werden für Schwerverletzte. Gelegentlich werden die Kriegberichte unterbrochen zum Beispiel von Erinnerungen an eine glückliche Vergangenheit, mit Episoden aus der Kindheit. Dann werden die Koffer behutsam geöffnet und zum Publikum hin aufgestellt, sie werden zu Schreinen, ausstaffiert mit Samt und Tüll und Figürchen. Man begreift: sie stehen auch, für die kindlichen Quellen von Lebensenergie, von Utopie und Hoffnung. So lässt das Freak Kabarett „Dakh Daughters“ ahnen, dass der Krieg weit über die Zerstörung von Häusern und Landschaften, weit über das Töten und Vergewaltigen hinaus greift: Er zerstört die mentalen Lebensadern auch der Unversehrten. Fast klagend ruft eine der sechs Performerinnen „Ich bin in Sicherheit“, so wäre es eine Last und ein Gefühl der Schuld, den Krieg nur im Herzen zu tragen und nicht auch auf der Haut.

Das „Croa Croa“, der Ruf der Krähen, ist Leitmotiv eines Songs, der die Bilder der Zerstörung aus der Vogelperspektive schildert, pulsend, treibend unter anderen von Keybord, Schlagzeug, Kontrabass, drei der 15 Instrumente, die die Performerinnen beherrschen. Sie sind als Gruppe seit 2012 Teil des kollektiven Kiewer Dakh-Theater.

Im Anfang März haben sechs der sieben Dakh Daughters mit Projektleiter Vlad Troitskyi die Ukraine verlassen und im normannischen Vire Unterschlupf gefunden. In der kleinen Stadt gibt es ein staatlich gefördertes Theater. Hier fand die Gruppe die technischen Voraussetzungen, um weiterzumachen und dem gefürchteten Geflüchtetenstatus mit der Arbeit an der neuen Produktion zu entkommen. Ihre mal ritualhafte, mal rockig auftrumpfende Performance wurde allerdings am Pariser Odéon uraufgeführt, das im Untertitel Théâtre de l’Europe heißt und sich so auch als Ort für das Theater des gesamten Kontinents versteht. Ja, und es will jetzt auch Teil einer kulturellen Front sein gegen Russlands Aggression. „Danse Macabre“ ist ein ergreifendes Dokument des Widerstandes.