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Virginie Despentes inszeniert
Eine melancholische Wut
von Eberhard Spreng

Die Autorin, Essayistin und Filmregisseurin Virginie Despentes ist eine Ikone der queeren Literatur. Seit kurzem arbeitet sie auch als Theaterregisseurin. Nach „Woke“ am Théâtre du Nord in Lille folgt nun „Romancero Queer“ am Théâtre National de le Colline in Paris. Das ist der zweite Teil einer Trilogie.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 21.05.2025 → Beitrag hören

Foto: Teresa Suarez

Ein queeres Ensemble soll Bernarda Albas Haus des andalusischen Poeten und Dramatikers Federica Garcia Lorca spielen. Das hat sich ein Macho-Regisseur ausgedacht, dessen Anweisungen wir immer nur aus den Lautsprechern hören. „Lou sofort auf die Bühne!“ etwa. Und immer wenn später eine der Akteurinnen wieder von der Probe zurückkommt, dann ist sie innerlich zerstört, verunsichert, voller Wut und Trauer.

„Ich bin eine mittelmäßige Schauspielerin, ich hab nicht viel drauf. Mir fehlt Musik, ich hab ein Kuhlächeln, meine Haar sind stumpf. Ich bin nicht sexy und verstehe die Regieanweisungen nicht.“

Das sagt Clara Ponsot in der Rolle der Lou und lässt sich von ihren Leidensgenossinnen trösten. Gespielt wird das auf einer nüchtern-abstrakten Bühne mit Quadern und Podesten, weit weg von Lorcas stickigem Haus und weit weg vom Making-Off-Realismus der Schminkzimmer. Was bei Lorca die Unterdrückung der spanischen Frau unter dem Sittendiktat einer machistisch beherrschten Gesellschaft war, ist hier die Unterdrückung eines queeren und migrantischen Ensembles unter der Herrschaft eines monomanischen Künstlers. Und die funktioniert auch, weil diese Figuren untereinander zunächst alte Rechnungen zu begleichen haben, die eine der andere mal den Lover ausgespannt hat, oder weil sie sich gegenseitig vorhalten, noch nicht den richtigen Dreh im Kampf gegen Diskriminierung gefunden zu haben. Diese Zerstrittenheit muss in eine Front gegen den Regisseur gewendet werden. Der erste Teil des Abends riecht deshalb dramaturgisch etwas nach Empowerment-Pädagogik. Das ist sprachlich pointenreich witzig und manches erinnert entfernt an den „Käfig voller Narren“ – Film von 1978. Mit einem entscheidenden Unterschied, denn das hier ist kein Spiel, keine Travestie prominenter Cis-Männer in einer Epoche linker Aufbrüche, sondern eine Aufführung von Menschen, die in einem verschärften Klima der Intoleranz genau wissen, wovon sie reden. Immer wieder zielen die Soli auf die politische Situation als Ganzes. Und auf Parallelen mit der Aufkunft der Franco-Diktatur, dessen frühes Opfer Lorca war:

„Ich gehe durch Paris und sage mir: Wie schön ist die Stadt, ich liebkose jede Straßenecke mit meinem Blick, wie etwas, von dem ich mich trennen muss. Alles wird verschwinden, meine Augen sind voller Tränen, weil keiner von uns einen schönen Tod sterben wird, so wenig wie Lorca, den sie mit Kugeln durchsiebten, weil er schwul war.“

Foto: Teresa Suarez

Soraya Garlenq spricht einen dieser von poetischen Findungen durchsetzten Kampfmonologe der Virginie Despentes. Sie sollen Anschluss finden an Lorcas Duende, diese dunkle Kraft, von der die andalusische Kunst durchsetzt sein muss, wenn sie respektiert werden will. Virginie Despentes ließ sich von dessen Gedichtssammlung „Romancero Gitano“ auch für den Titel ihres Stückes inspirieren. Es ist eine Mischung aus Making-Off-Komödie, Spottrede, politischem Manifest voller Wut und trauriger Melancholie:

„Sie haben die Macht der Waffen. Sie zerstören, sie terrorisieren, aber wir haben immer existiert und werden immer existieren, wir sind Brückenbauer über dem Abgrund, zwischen Welten, Sprachen und Identitäten.“

Das ist in seiner hehren Gefühligkeit ganz nah am Kitsch, aber „Romancero Queer“ ist eben auch ein Versuch, einen argumentativen Raum zu schaffen, von dem aus man queere und migrantische Diskriminierung adressieren kann. So geht es also auch gegen einen weißen, rechten Feminismus, der sich gegen islamische Frauen wendet, weil sie Kopftuch tragen, gegen den maskulinistischen Suprematismus in den USA und andernorts, dessen nächste Opfer Schwule und Lesben sein können. Lorca vollendete sein „Bernarda Albas Haus“ zwei Monate bevor er von frankistischen Milizionären ermordet wurde. In einem Raum politischer Dringlichkeit positioniert sich Virginie Despentes. Sie ist dem andalusischen Dichter so mit ihrer Making-Off-Komödie womöglich ungleich näher gekommen als Katie Mitchell, die jüngst auch auf dem Berliner Theatertreffen „Bernarda Albas Haus“ als inszenatorische Kunstübung mit hinzuerfundenem blutigem Skandalbeiwerk aufjazzte, um es unserer, von Gewalt verrohten Seherfahrung anzupassen. Vielleicht ist die zornige Poesie der Virginie Despentes kraftvoller als Mitchells Realismus. Das Pariser Publikum feierte ihr neues Stück als Befreiung von Denkverboten in einer polarisierten Gesellschaft.