Posthumanistisches Theater
Wiederauferstehung und Selbstgeburt
von Eberhard Spreng
Susanne Kennedys „Angela (a strange loop)“ ist ein Leben in der Zeitschleife. Die Regisseurin versteht ihr neues Stück als eine Fortsetzung ihrer Arbeiten über Frauenfiguren (nach „Women in Trouble, 2018“ und „Jessica, an incarnation“, 2022). Die Uraufführung kam zur Eröffnung des Kunstenfestivaldesarts in Brüssel heraus.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 12.05.2023 → Beitrag hören

Drei große Schriftzüge sind auf der Stirnseite des Dekors aufgemalt. „Exit“ steht da drei mal in roten Lettern und dazwischen weisen Pfeile in widersprüchliche Richtungen. Einen Ausgang wird es also hier nicht geben, nicht das Versprechen auf Rettung oder Erlösung irgendwo außerhalb der Bühne. Dann flammt ein Bildschirm über der Szene auf und ein niedliches computeranimiertes Tiergesichtchen erzählt von letzten kosmischen Dingen.
“Once upon a time, in some out of the way corner of that universe which is dispersed into numberless twinkling solar systems, there was a star upon which clever beasts invented knowing.“
Ein Ausschnitt aus Nietzsches „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“ schallt wie eine endzeitliche Verheißung in Angelas Alltag, hier in diesem Zimmer mit einem Bett, Tisch und zwei Stühlen und dieser coolen Küchenzeile im Hintergrund. Sie ist das mittlere Paneel einer als Triptychon ausgestalteten Schauwand hinter der jungen Frau, die unter einer mysteriösen Krankheit leidet. Gelegentlich spricht sie zu ihrer Followerschaft auf Tiktok über den Verlauf ihrer Erkrankung, über Heilungsversuche und Symptomatik.
“And having not been streaming much either …
Die englischsprachige Produktion arbeitet, wie immer im Theater dieser Regisseurin, mit voraufgezeichneten Stimmen, zu denen die Performerinnen und Performer synchron ihre Lippen bewegen, so als gelte es, das Leben und die Gefühle von Figuren zu reenacten, die längst vergangen sind. Was sind wir Menschen schon, fragt Susanne Kennedy, sicher nicht das, was wir zu sein glauben: Individuen, Subjekte, unterscheidbare Ichlinge. Aber nicht nur das Wesen dieser von Ixchel Mendoza Hernández verkörperten Angela steht hier zur Debatte, auch ihre Umwelt hat nicht die physische Konsistenz, die wir Zuschauer als gesichert ansehen. Sorgfältigst von Visual Artist Markus Selg vorbereitet, wird die Küchenzeile plötzlich wie von Zauberhand unscharf und entpuppt sich als ein Stofflichkeit und Schattenwurf perfekt imitierendes Video. Die Welt ist Projektion und entsteht im Gehirn. Realität und Virtualität sind sich vermischende Formen von Wahrnehmung, und das Theater Ort für Meditationen über Mensch und Universum.
“Born to late to explore the world, born to early to explore the universe…”
„Angela -a strange loop“ ist also mehr als das Porträt der chronischen erkrankten Frau, die gelegentlich von Freund, Freundin und ihrer Mutter besucht wird. Texteinblendungen verkündeten das ehrgeizige Programm eines als Trilogie angelegten Abends: „Nigredo“, „Albedo“ und „Rubedo“ heißen die Teile. Das waren einst die Transmutationsstufen der Materie in der alchimistischen Stofflehre, von der Materia Prima etwa zum Stein der Weisen. Und in diese Metaphorik eingebettet, erzählt der bilderreiche Abend von Tod, Wiederauferstehung und Selbstgeburt der Angela. Nach ihrem Tod sind die trauernden Freund und Freundin allerdings über ihr Wiedereintreten in den Bühnenraum eher verärgert: In der Film- und Theatergeschichte sind solche Untotenszenen in der Regel urkomisch oder grotesker Grusel. Kennedy inszeniert es mit stoischer Humorlosigkeit. Aber dann folgt auch noch eine merkwürdige Selbstgeburt. Aus Angelas Mund wird eine Fruchtblase geborgen und eine Nabelschnur und später wiegt die von Kate Strong gespielte Mutter dieses Gebilde als die neugeborene Angela in ihren Armen. Matrilinearität, das Fortsetzen des Leben von Mutter zu Tochter ist zu sehen, vermischt mit der Geschichte von Angelas Re-Inkarnation. Aber ist damit ein neues Daseins-Level erreicht? Einen spirituellen Ausweg aus Angelas Loop, aus ihrer Wiederholungsschleife bietet Kennedy nicht. Welche Andacht wird denn in ihrer Theaterkirche nun veranstaltet und wo wäre der Adressat ihrer posthumanistischen Predigt. Der philosophische Hintergrund ist interessant: Das Ich und die Welt gibt es nur als mentales Phänomen und ihre Konstruktion ist viel fragiler als wir glauben. Aber auf der Bühne bleibt dieses Weltbildtheaterspiel trotz hohem Schauwert und schönen Verblüffungseffekten ein verstörendes Rätsel. Kennedys Versuch, dem Digitalrauschen die neue Letztbegründung abzulauschen, bleibt im Ungefähren stecken.