Romanadaption
Was ist das: Herkunft?
von Eberhard Spreng
Der 2019 erschienene, teilweise autobiografische Roman „Herkunft“ des Saša Stanišić erzählt von Erinnerungen des 1978 in Višegrad geborenen Schriftstellers, dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien, seinem Exil, seiner Ankunft und Jugend in Heidelberg. Am Berliner Ensemble inszeniert dies nun Stas Zhyrkov, der die Ukraine vor drei Jahren verließ.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 14.11.2025 → Beitrag hören

Eine üppig bepflanze Verkehrsinsel im fahlen Licht von zwei Lampenmasten. Hier beginnt eine Meditation über Fragen von Herkunft und Identität, an einen Ort also, den Migranten auf ihrer Flucht aus Krisengebiete mitunter aufsuchen: Niemandsorte, Passagen des Übergangs von denen sie nicht sofort wieder vertrieben werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich der Protagonist des autobiografischen Romans „Herkunft“ von Saša Stanišić eine der Schlüsselfragen. Gespielt wird er von Marina Galic.
„Wie man es dreht und wendet, Herkunft bleibt doch ein Konstrukt! Eine Art Kostüm, das man ewig tragen soll, nachdem es einem übergestülpt worden ist. Als solches ein Fluch! Oder, mit etwas Glück, ein Vermögen, das keinem Talent sich verdankt, aber Vorteile und Privilegien schafft.“
Der exilukrainischen Regisseurs Stas Zhyrkov bebildert das Drehen und Wenden des Herkunftsbegriffes ganz buchstäblich. Marina Galic wälzt während ihrer Rede auf dem Boden hin und her. Die drei Nebenfiguren umtänzeln derweil den Bühnenaufbau in neckisch-verspielter Schrittfolge. Das sind die von Peter Moltzen gespielte Großmutter der Erzählerfigur sowie deren Eltern. Die Mutter spielt hier die schwarze Joyce Sanhá. Diese Besetzung lässt keine Zweifel aufkommen: Es geht hier nicht um Genderkonformität oder geografische Zuordnung, nicht um fixe Identitäten, sondern exemplarisch um alle Fluchtgeschichten, um fluide Verkörperung in der Frage nach der Herkunft.
„Ob Brandenburg oder Bosnien ist nicht so entscheidend. Identitätsstress schert sich nicht um Breitengrade. Wer kommt schon dort an, wo er hin will? Was ist schon Herkunft? Was ist schon Heimat?“
Saša Stanišić hatte mit seiner Mutter das zerfallende Jugoslawien im Sommer 1992 verlassen und war nach Heidelberg gekommen. Er kam aus Višegrad. Aber wo liegt das? In seine Erinnerung und der seiner Familie ist das immer noch ein jugoslawischer Ort. In den 1990er Jahre, der Zeit aufkommender nationalistischer, ethnischer und kultureller Zuordnungen, wurde das eine Stadt in Bosnien. Mit sehr viel feinsinnigem Humor beschreibt der Autor in seiner mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Erzählung in ganz konkreten Episoden die Paradoxien und Widersprüche, die dann entstehen, wenn einem Menschen eine Identität zugeschrieben wird. Oder wenn er für sich selbst einen klaren Herkunftsbegriff behaupten soll, zum Beispiel, weil die Ausländerbehörde einen handgeschriebenen Lebenslauf verlangt. Das Problem stellt sich vor allem, wenn das Land in dem er geboren wurde, gar nicht mehr existiert. Den letzten Endes optimistischen Humor des 2019, also noch vor Corona und dem russischen Angriffskrieg, veröffentlichten Romans hat der ukrainische Regisseur seiner Theaterversion weitgehend ausgetrieben. Er stellt den Diskurs vor allem in eine von rechts immer mehr verdüsterte Epoche, die schon in den 1990 Jahren begann.
„Am 24. August 1992 werfen Neonazis Molotowcocktails in ein Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter in Rostock. Es gibt Zuschauer. Rostocker Bürger. Zugereiste Hasstouristen. Polizei. Die Menge singt: So ein Tag, so wunderschön wie heute. Es gibt Buden. Man holt sich ein Bier und eine Wurst und guckt in die Flammen. Ein deutscher Pogromjahrmarkt.“
Biografische und politische Zeitgeschichte verflechten sich in „Herkunft“ von Saša Stanišić zu einer Chronik, die deutlich macht, wie brüchig, vorläufig und wechselhaft Identitätsbegriffe sind. Stas Zhyrkov verpackt das in eine grelle, bewegte und mutwillige Revueästhetik. Nicht immer ist das im Einklang mit dem Roman.

Die Verkehrsinsel vom Anfang verschwindet im Bühnenhimmel, und wird zur Decke über einem von Spitzenvorhängen eingerahmtem Innenraum. Der steht für die untergehende Welt der in Bosnien gebliebenen Großmutter. „Als meine Großmutter Kristina Erinnerungen zu verlieren begann, begann ich, Erinnerungen zu sammeln.“ Sagt der Roman und die Theaterbearbeitung. Aber all die Erinnerungen wollen sich nicht zu der einen großen Narration zusammenfügen, aus der sich eine Zusammengehörigkeit, ein schöner Lebenslauf, eine schicke Weltanschauung, oder irgend ein anderes geschlossenes Bild formen ließe. So ist wohl das Leben, und vielleicht löst genau das Wut und Gewalt bei Menschen aus, die einfache Weltbilder brauchen und die jetzt am rechten Rand immer mehr werden.