Eugene O’Neill am Deutschen Theater
Aus den Wänden gekrochen
von Eberhard Spreng
Das Drama „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ sei mit „Blut und Tränen“ geschrieben, so gestand der Autor Eugene O’Neill, ein autobiografisches Stück, mit dem der Autor die Dämonen und Traumata seiner eigenen Kindheit bewältigen wollte. Sebastian Nübling inszeniert am Deutschen Theater.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 31.01.2025 → Beitrag hören

Der eiserne Vorhang klemmt. Mehrfach fährt er hoch auf einen knappen Meter und hakelt sich fest. Dann kommt Julia Gräfner in der Rolle der Inspizientin auf die Vorderbühne und richtet sich ans Publikum.
„Ok, Scheiße, Ton aus. Herzlich Willkommen im Deutschen Theater, wie sie sehen gibt’s ein paar kleine technischen Probleme.“
Statt im Landhaus der Familie Tyrone beginnt dieser O’Neill im Zuschauerraum des Deutschen Theaters. Das Publikum wird von Vater James aus der zweiten Reihe, Mutter Mary vom zweiten Rang links, Sohn James Junior vom ersten Rang rechts und Sohn Edmund in einer Loge bespielt. Knallrot gekleidet sind sie alle, genau wie Bestuhlung und Wandverkleidung des Theaters. Sie sehen also aus, als wären sie direkt aus den Wänden gekrochen. Das passt zum dramatischen Setting des Stücks, das die Hass- und Streitgespräche dieser dysfunktionalen Familie im Schauspielermilieu behandelt. Der Vater kam einst mit einem Unterhaltungsstück zu Geld, das er nun in Immobilienprojekten angelegt hat, deren Erträge er mit krankhaftem Geiz verwaltet. Sohn James sollte mal als Schauspieler reüssieren, ist dann aber in exzessiven Alkoholkonsum abgedriftet, während Mutter Mary ob ihres Kummers in der Familie zur Morphinistin wurde. Immer wieder gehen die Gespräche um den zweitgeborenen kränklichen Eddie, dessen Schwindsucht die Mutter geflissentlich verdrängt.
„Ach Dein Arzt, kein Wort glaub ich dem, mit Ärzten kenn ich mich aus, die sind doch alle gleich, die erzählen einem was sie wollen, nur damit man dauernd zu ihnen rennt.“
Almut Zilcher spielt die wirklichkeitsflüchtige Mutter, Bernd Moss den narzisstischen Vater. Wenn’s für ihn eng wird, wird er zum demagogischen Populisten. Dann richtet er sich einfach ans Publikum mit kleinen Umfragen. „Wer hat auch das Gefühl, undankbare Kinder zu haben?“. Einige wenige Hände gehen nach oben. Das alles wird mit komödiantischer Bravour ausgeführt, ist hochgradig unterhaltend und tatsächlich auch ein Aspekt des O’Neillschen Klassikers. Wenn eine Schauspielerfamilie sich streitet, dann wird Hass, Liebe, Vorwurf und Enttäuschung zur großen Performance.
Im zweiten Teil der Aufführung streifen die Performerinnen und Performer ihr rotes Theaterkleid ab und werden zu Akteurinnen und Akteuren in einer Phantasmagorie, die ganz augenfällig die Umnebelung des Geistes im Alkohol und Morphiumrauch bebildert: Der eiserne Vorhag ist endlich auf, von der Bühne her wabert dichter Nebel ins Publikum. Zu der Air von Johann Sebastian Bach, die den gesamten Abend leitmotivisch begleitet, setzt sich Sohn Edmund, verkörpert von Svenja Liesau, eine Flasche an den Hals dreht sich wie in Trance um die eigene Achse. Rollbehälter mit Unmengen von Alkohol schiebt Moritz Kienemann als Sohn James über die Bühne, die Reste von Vernunft und Weltordnung weichen einer surrealistischen Bildersprache. Im Gegenlicht taucht wie ein Schemen nun auch ein Landhaus auf, das in einer konventionellen Inszenierung als Dekor hätte diesen können. Vor ihm errichtet das Dienstmädchen mit Natodraht eine Sperre. Sie bereitet ihren Epilog aus der Feder der Dramatikerin Sivan Ben Yishai vor. Das ist, unter dem Titel „How to stay“, ein hastig hingeworfenes Psychogramm einer Müdigkeitsgesellschaft, die von ihren Gewohnheiten nicht loskommt und auch auf Abschiebung, Exil und Gewalt nur mit Verwirrung reagiert.
„Ich meine, Exil, Gewalt, Abschiebung sind irgendwie kollektive Primärerfahrungen, oder? Sie lösen in uns allen Angst aus.“
Exil, Gewalt, Abschiebung; das aktuelle Reiz-Vokabular der Politik beendet diese Premiere eines modernen Klassikers. Sie fand zwischen zwei geschichtsträchtigen Bundestagsdebatten statt. Aber es gelingt dieser Aufführung nicht, das Ausmaß gesellschaftlicher Verrohung und Gewaltbereitschaft sowie ihren Fremdenhass aus den Beziehungsstrukturen eines scheiternden Familiensystem zu erklären. So bleibt nur die Freude am brillant verkörperten, reich bebilderten Irrsinn einer drogenberauschten Zwangsgemeinschaft.