Sebastian-Blasius-inszeniert-Choere-des-Spekulativen-in-den-Uferstudios

Performance in den Berliner Uferstudios
Diverse Dramenkorrekturen
von Eberhard Spreng

Acht zeitgenössische Autorinnen und Autoren aus Jordanien, Brasilien, China, der Türkei, Marokko, Burkina Faso, Griechenland und Deutschland hat Sebastian Blasius zur Textmontage „Chöre des Spekulativen“ versammelt. Die Uferstudios zeigten das als gestreamtes Video.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 24.04.2021 → Beitrag hören

Foto: Florin Krauss

Eine kleine Halle mit hohen, herrlich abgelebten Wänden, vier Akteurinnen und zwei Akteure, die sich zunächst einzeln einem kleinen Stapel von Manuskripten auf dem dunkelrot gestrichenen Betonboden nähern: Regisseur Sebastian Blasius betont zu Beginn der gestreamten Aufführung das klassische Dreieck alles Performativen: Raum, Körper, Text. Und er beginnt seine Erkundung der ungehörten Theaterchöre mit der Aktualisierung einer antiken Tragödie.

„Wir wissen es. Jeder Einzelne, jede Familie in dieser Region hat unter
vergangenen Kriegen, Flucht- und Gewalterfahrungen gelitten, der
andauernde Kreislauf der Gewalt hält an.“

Die Istanbuler Autorin Ebru Nihan Celkan aktualisiert die Urtragödie über die Kämpfe zwischen Menschenrecht und Staatsraison „Antigone“. In ihrer Überarbeitung des antiken Stoffes ist der Chor zunächst linientreu, dann verunsichert und folgt schließlich der Argumentation von Choragos: Er klagt die menschenverachtende Herrschaft an.

„Wir fordern Theben auf, seine Vernichtungs- und Vertreibungspolitik gegenüber der gesamten Bevölkerung der Region, einzustellen. Wir fordern Theben auf, die Bedingungen für eine friedliche Beilegung des Konflikts zu schaffen.“

Die Autorin dieses ersten Teils wünschte sich einen bunt gekleideten, diversen Chor aus Männern und Frauen, eine Abwendung von der Uniformierungen des klassischen Chores im traditionellen Schauspiel. Regisseur Sebastian Blasius lässt seine Figuren frei im Raum agieren, ohne offensichtliche Momente der Geschlossenheit. Einzelne tänzerische Posen begleiten ein Oratorium, in dem die Stimmen immer wieder auseinanderlaufen und nur selten zusammenfinden.

„Wir werden nicht Teil dieses Verbrechens sein, wir werden nicht Teil dieses Verbrechens sein.“

Wenn es wie in der „Antigone“ um den tragisch übersteigerten Kampf von Rechtauffassungen geht, lässt sich der alte Stoff gut mit aktuellen Konflikterfahrungen des Nahen Ostens konfrontieren. Aber das Projekt will den Chor auch mit Stücken in Dialog bringen, in denen es diese kollektive Stimme nie gab. Wenn aber dann Karima El Kharraze eine chorische Antwort auf Molières „Fourberies de Scapin“ versucht, verschwindet das alte Stück völlig im aktuellen Kommentar. Die junge Autorin meditiert über den sozialen Hintergrund und das kulturelle Milieu der Zerbinette, einer der Figuren aus Molières in Neapel angesiedelter Komödie. Der Text will, so verrät das Programmheft, einen kritischen Blick auf Frankreichs Kolonialgeschichte werfen, floatet aber völlig losgelöst in einem Raum theatral unerschlossener Bezüge. „Die stürmsche Insel Europa vernutzt Mensch und Maschine“ heißt es zu Beginn von Björn SC Deigners Meditation über eine Gesellschaft von Gestrandeten, die der junge Berliner Autor dem Shakespearschen „Sturm“ zugesellt.

„Unser Kopf eine
zu kleine Knospe
die treibt noch
ihre Blüten nicht.
Ach, ich bitt Euch, arbeitet nicht so hart. Ich wollt der Blitze hätte diese Scheite, die ihr stapelt, in Brand gesetzt! Legt das Holz weg und ruht aus“

Und so ist eigentlich der ganze Abend. Oft monotone, mal fast erstickte, kraftlos vor sich hin stolpernde Textflächen, die Goethes „Faust“, Schillers „Kabale und Liebe“, Racine und weitere Klassiker zu Dekompositionsübungen heranziehen. Es endet mit Beckett, und mit einer Schrift, die in riesigen Lettern auf dem Bildschirm vorbeizieht, langsam und teils überlagernd, absichtlich schwer verständlich.

„Lessnessness. Lessnessness.“

In Anklängen an Samuel Becketts Einakter „Rockaby“ und das Hörspiel „Losigkeit“ endet ein Abend, der seine Texte von jungen Autorinnen und Autoren aus verschiedensten Regionen und Kulturen der Erde bezieht. Das klingt förderwürdig. Er will dem etablierten Kanon des Theaterrepertoires die ungehörten Stimmen eines diversen Chors entgegenhalten, in dem „ein nicht-westlicher, nichtweißer und weiblicher Blick aufscheint“ wie das Presseheft verspricht. Wer wollte einem solchen Projekt heute die Förderung verweigern? Verschiedene NRW Fördertöpfe und der Berliner Hauptstadtkulturfonds waren dabei. Ja, auf dem Papier ist das alles wunderbar, die müde und ideenlose Umsetzung ist es nicht.