Romeo Castellucci – La Democrazia in America

Romeo Castellucci inszeniert „La Democrazia in America“
Tocquevilles Nightmare
von Eberhard Spreng

Der Bilderregisseur Romeo Castellucci will nicht aus den Tiefen der Geschichte und der Kunst erklären, wie Amerikas Demokratie auf Donald Trump kommen konnte. In Antwerpens Kulturhaus DeSingel nimmt er Alexis de Tocqueville als Anlass für eine Bildermeditation über den amerikanischen Traum.

Deutschlandfunk, 09.03.2017

Romeo Castellucci bei den Proben in Antwerpen (Foto: Maria Vittoria Bellingeri)

„Diese Vorstellung ist nicht politisch“ betitelt Romeo Castellucci einen kleinen einleitenden Text auf dem Programmzettel. Vielleicht will er ein Missverständnis vermeiden: Der Bilderregisseur wird nicht aus den Tiefen der Geschichte und der Kunst erklären, wie Amerikas Demokratie auf den Trump kommen konnte. Er nimmt Alexis de Tocqueville, den Begründer der vergleichenden Politikwissenschaften, der noch heute von Politologen und Soziologen gerne gelesen wird, zum Anlass für ein splitterhaftes Fabulieren aus einem eher verdrängten amerikanischen Traum.

Es beginnt mit einer Meditation über den Zweifel an Gott. Zwei Siedler in züchtiger, hochgeschlossener Kleidung haben ihrem kargen Boden nur eine grotesk kleine Kartoffelernte abgewinnen können und zweifeln an der Gnade des Herren. Dann erschrickt Nathaniel über seine Frau Elisabeth, die erst gestanden hatte, dass sie sich aus lauter Einsamkeit und Verzweiflung gerne der Blasphemie hingibt wie einer suchtbildenden Droge und sich jetzt auch noch die Kleidung von der Brust reißt.

Eine Demokratie, die auf puritanischer Sittenlehre beruht

Ist Elisabeth besessen, gar vom Teufel? Ist ihr Bruch mit dem Glauben der Einstieg in die Auseinandersetzung mit dem Kernthema bei Tocqueville: Der Fundierung der amerikanische Demokratie in einer kollektiven Sittenlehre, die von strengreligiösen Puritanern auf den neuen Kontinent gebracht wurde? Aber, wir sind ja bei Romeo Castellucci und da wird jede stringente dramaturgische Linie, jede hübsche Argumentation sogleich durchbrochen von Bildeinfällen, unverbundenen Assoziationen, von der Herrschaft des Sichtbaren, die die Sprache in ihre Schranken weist. Denn nun fährt eine leicht eingegraute Folie vor die Vorderbühne und verwandelt die nun folgenden diversen Gruppenszenen in leicht hingehauchte Traumbilder. Wie so oft löst Castellucci die Tiefe der Bühne in einem zweidimensional erscheinenden Bild auf. Es sind Bilder von Puritanern mit hohen schwarzen Hüten, die Elisabeth wie ein lebloses Bündel mit ihren Stöcken vor sich her rollen. Wir sehen Volkstanzszenen mit wechselnden Kostümen, die sich nun weit von amerikanischen Vorbildern entfernen. Dazu werden Jahreszahlen und Worte auf die Gaze projiziert, „1854 Kansas – Nebraska Act“ z.B.: Stumme Zeugen vom Werden einer demokratischen Nation. Sie enden im belanglos Privaten: „1620, Jimmy bricht sich den Arm beim Sturz von seinem Kirschbaum.“

Drama, Volkstanz, Installation, Malerei und dadaistische Wortspiele

Polternd wird polternd ein Kleinwagen umgestürzt, immer wieder, mit der geballten Anstrengung des ganzen Ensembles. Nach Drama, Narration und Choreografie wird die Bühne nun zum Ort für Installationen: An einem herumzappelnden, mechanischen Arm ist ein Leuchtstab befestigt und der gibt mit lustig zuckenden Bewegungen den Takt vor. Dann kommen die von oben herabhängenden Modelle von den vier Beinen eines Pferdes ins Bild, jedes bewegt sich ruckartig für sich allein. Endlich schweben miteinander verbundene Röhren herab und bewegen sich zu einem ohrenbetäubendem Soundscape wie ein riesiges Mobilee.

Ein großes, rotes, hinter der Gaze durchschimmerndes Rechteck erscheint. Das erinnert an Gemälde von Rothko, ein schwarzes an Malewitsch. Dass all das aber auch mit Humor gesehen werden soll, zeigt das 13-köpfige Ensemble, wenn es in langen Armeemänteln über die Bühne paradiert und Fahnen mit je einem Buchstaben in immer neuen Konstellationen präsentiert: „Democracy in America“ macht den Anfang, dann sind Dinge wie „Aerodynamic Ceramic“ zu lesen oder „Cocaine Army Medicare“, Wortspiele in dadaistischer Verspieltheit.

Am Ende sind dann auch noch Ureinwohner im Spiel

Eine Theaterszene bildet den Abschluss und zusammen mit dem Anfang eine dramaturgische Klammer. Zwei Indianer hocken in der Steppe, werfen sich gegenseitig englische Wörter zu und lachen über die Aussprache. Da ist es, das Verdrängte im puritanischen Traum von der auf Sitten gegründeten Demokratie: Sie verdrängt den Genozid der indianischen Urbevölkerung. Dass diese an ihrem Untergang selbst schuld sei, hatte Alexis de Tocqueville frech damit erklärt, dass die Indianer es versäumt hätten, einen Eigentumstitel über ihren Grund und Boden vorzulegen. Und außerdem, nicht Jagd, nur Ackerbau begründe das Recht auf Eigentum. Auch, dass Romeo Castellucci den Abend mit einem reinen Frauenensemble bestreitet, macht Sinn: Ein Stimmrecht hatten Frauen nicht, als der französische Aristokrat in den 1820er Jahren in Amerika ein Modell für Europa entdeckte.

„Democrazia in America“ ist ein zwiespältiger Abend: Er bietet Bilder mit hoher Suggestivkraft auf, denen man voller Aufmerksamkeit folgt, aber sie sind zu sprunghaft und unverbunden, um das Nachdenken über das bedrohte Gesellschaftsmodell Demokratie zu befeuern oder gar seinen Untergang in einer neuen Herrschaft des Mythos zu feiern.