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Robert Lepage inszeniert
Im Strudel des Lebens
von Eberhard Spreng

Wie welthistorische Ereignisse – die Atombombenexplosion von Hiroshima zum Beispiel – in das Leben seiner Protagonistinnen und Protagonisten einwirken, hat Robert Lepage immer wieder erkundet. Nun hat er mit dem Ensemble der Schaubühne über ein Jahr an einer Stoffentwicklung gearbeitet, die vor allem deutsche Seelenzustände und Abgründe erkundet: „Glaube, Geld, Krieg und Liebe“ Das Ergebnis ist ein fünfstündiger Theaterabend, mit der die Schaubühne auch den Zeiten der Mittelkürzungen trotzt.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 04.10.2024 → Beitrag hören

Foto: Gianmarco Bresadola

Was ist schon die Zeit? Was Vergänglichkeit, wenn das Leben des Menschen durchströmt wird von Energien, die weit über seinen Tod hinausreichen? Fragen wie diese stellt man sich in Lepages Arbeit an der Schaubühne immer wieder. Denn hier kreuzen sich die Lebenslinien vieler Figuren quer durch die Epochen und Zeitmoden, vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum aktuellen Krieg in der Ukraine. Robert Lepage hat diese Lebenslinien in vier Akten organisiert. Dabei stehen Glaube, Geld, Krieg du Liebe für die vier Kartenfarben Kreuz, Karo, Pique und Herz. Den Anfang macht Kreuz, der Glaube, zum Einstieg in eine große, epische Reise durch Leiden und Leidenschaft, Zufall, Irrungen und Wirrungen.

1945. An einer Klosterpforte hat jemand ein Neugeborenes abgelegt, im Vertrauen auf die Fürsorge der Ordensschwestern. Deren Glaube und ihre Pflicht zur Bewahrung der Schöpfung rettet das Mädchen mit dunkler Hautfarbe, das in diesem Theater der magischen Wandlungen nur wenige Momente später als junge Frau in die Welt entlassen wird. Eine Waise, der ihre Herkunft lange verborgen bleiben wird. Alina Vimbai Strähler spielt sie als meist strahlende, von unbedingtem Lebenswillen getragene zentrale Figur der Inszenierung. Im Paris der Existentialisten wird sie im Café de Flore entdeckt, spielt in einem Nouvelle-Vague-Film, dessen mutwillig komische Dreharbeiten wir ebenso erleben wie ihre Auftritte als mittlerweile berühmtes Modell auf dem Catwalk. Lepage schafft in diesem ersten Akt ein mit raschen Verwandlungen und magischen Bildfindungen geradezu süffiges, berührendes und entzückendes Theater.

Foto: Gianmarco Bresadola

Wobei vier drehbare Monitore zugleich Landschaften hinter Zugfenstern, Caféhausfenster, Bücherwände oder andere Inneneinrichtungen wie aus dem Nichts hervorzaubern. Auch tauchen auf ihnen immer wieder die vier Spielkartenfarben auf, die als Leitmetaphern durch den Abend führen: Aus ihnen sprudeln die Urtriebkräfte des Lebens.

„Alors tous deux on est repartis
Dans le tourbillon de la vie“

Jeanne Moreau hatte im legendären Film „Jules et Jim“ von 1962 vom „Tourbillon de la Vie“ gesungen, vom Strudel des Lebens, der als Kernmetapher der Aufführung verstanden werden kann. Das war in einer existentialistischen Nachkriegszeit, in der man an die Selbsterfindung- und Verantwortung des Menschen glaubte. Dieser Leichtigkeit des Seins im ersten Akt muss der bittere Ernst der neurotischen Lebenswirklichkeit folgen.

Foto: Gianmarco Bresadola

Nun verkörpert Stephanie Eidt die Erbin eines in der Nazizeit reich gewordenen Unternehmens, erlebt ein Ehedesaster, verfällt in Spielsucht. Das Geld zerstört ihre emotionalen Bindungen und vertreibt alle Liebe und jeden Glauben.

„Anfangs fühlte sich das wie eine harmlose Angewohnheit an. Aber ganz schnell wurde daraus ein manischer Zwang, der mich in eine sehr komplizierte Familiensituation gebracht hat.“

Mit Scham und Schuld blickt diese Millionenerbin auf die familiäre Vorgeschichte und das Unternehmen ihres Großvaters, das sich an Kriegswirtschaft und mit Zwangsarbeitern aus KZs bereicherte. Später wird Stepahnie Eidt eine blasierte Agenturbetreiberin verkörpern, die einem Homosexuellen-Paar bei der Erfüllung des Kinderwunsches hilft, indem sie für teures Geld eine Leihmutterschaft organisiert. Obwohl Robert Legage auch hier Szenen größter theatraler Einfachheit und Klarheit inszeniert, mäandert der große epische Strom seiner fünfstündigen Aufführung nun in etwas seichteren Gefilden. Also als Edelboulevard mit Netflix-Dramaturgie. Was aber diesen gewaltigen theatralen Wurf dann doch von dieser Form des menschelnden Entertainments abhebt, ist seine geradezu abenteuerliche Bühnenphysik und der mit ihr fabrizierte Illusionismus. Denn das, was das Publikum da zum Träumen, Lachen und Weinen bringt, es im Eiltempo durch Landschaften, Epochen und Ideenräume trägt, ist ja nichts als im Hier und Jetzt operierende Bühnentechnik und ein exzellentes siebenköpfiges Ensemble: Christoph Gawenda spielt im dritten Akt „Krieg“, unter der Herrschaft des Pique-Blattes, einen traumatisierten Afganistan-VetaranenBastian Reiber und Damir Avdic spielen, nachdem das Herz-Ass aufgeleuchtet hatte, also in „Liebe“, ein verdruckstes Homosexuellen-Pärchen, das sich um perfekte Schwangerschaftsbedingungen der ukrainischen Leihmutter sorgt.

– „we were wondering about the cigarette package in your husband’s pocket…
– Yes, my husband is a smoker. But he only smokes outside.”

Es kommt wie es kommen muss. In das schicke Regenbogenfamilienprojekt bricht der Beginn des Ukrainekrieges ein; die Schicksalskarten mischen sich neu. Es kommt zur Trennung, aus dem queeren Projekt wird nichts, und heteronormative Handlungsmuster weisen in die krisengeschüttelte Zukunft.. Nähme man die Plots in dieser aus Ensemblearbeit entstandenen Erzählung für bare Münze, man könnte da ein ziemlich konservatives Geschlechterbild ausmachen. Je mehr die Figuren aber als Archetypen verstanden werden, als Bilder und Metaphern, umso mehr wird aus der Unternehmung ein altes Märchen im zeitgenössischen Gewand. Es macht sich zur Aufgabe, jedes Trauma, jeden Fluch und jede Erblast im Spiel einer Heilung näher zu bringen. Soviel altmodischer Glaube in die Kraft des Theaters hat im postdramatischen Deutschland Seltenheitswert.