Rieke-Süsskow-urinszeniert-Handkes-Zwiegespraech

Uraufführung in Wien
Ewige Gegenwart
von Eberhard Spreng

Peter Handkes in diesem Jahr im Suhrkamp-Verlag erschienenes „Zwiegespräch“ ist eine Hommage an den slowenischen Großvater mütterlicherseits und eine Befragung der Imagination als Bühne für die Geschichte. Inszeniert hat den Text im Akademietheater Rieke Süßkow.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 09.12.2022 → Beitrag hören

Foto: Susanne Hassler-Smith

Eine ziehharmonikaförmige Faltwand wird von links nach rechts über die Bühne gezogen und – komisch genug – dieser vor sich hin rumpelnde Zug hält lange nicht an, auch nachdem er am rechten Ende angekommen ist und die ganze Bühne abdeckt. Die Geschichte, und um die geht es in Handkes neuem Stück, ist eine unendliche Verkettung. Dann kommt ein kleiner Junge mit einer Taschenlampe und leuchtet in alle Winkel des nun zum Stillstand gekommenen Dekors. Erst dann zieht ein Defilee von Pflegepersonal über die Vorderbühne, fährt fünf alte Menschen auf fahrbaren Schreibtischstühlen herein und gruppiert sie mit dem Blick ins Publikum für den dahingeraunten, ahnungsvollen Anfang in Handkes neuem Stück.

“- Genug jetzt ins Leere geschaut.
– Von Leere keine Rede. Oder doch. Nur hat die sich in der Zwischenzeit bevölkert. Will sagen: hat sich belebt.“

Branko Samarovski und Hans Dieter Knebel im Dialog über die Bühne ihrer Erinnerungen. Handkes nur notdürftig als Gespräch gekennzeichnete Prosa tastet sich vorsichtig in die Welt der Vergangenheit. Sein Zwiegespräch ist ein doppeltes: Zum einen sprechen da zwei alte Narren über die Frage, wie Erinnerungen auf der Bühne der Imagination auftreten könnten. Zum anderen spricht da der Autor mit sich selbst über die Frage, ob und wie Literatur überhaupt etwas Vergangenes begreifen kann. Regisseurin Rieke Süßkow wagt darauf einen frischen, bildmächtigen Zugriff: Ihre alten Narren sind einfach Altersheimbewohner, die ein robustes Pflegepersonal in choreographierten Bildern hin- und herschiebt wie leblose Puppen. Einmal werden schwarze Urnen über die Bühne getragen, Symbole des Todes. Dann wieder nimmt man einem der fünf Alten alle seine persönliche Gegenstände weg und schmeißt ihn unsanft aus dem Raum. Exitus, Schluss aus!

„Dein Schmerz wird vergehen und schön wird das Wiedersehen. La Paloma ohé, einmal muss es vorbei sein…“

Alte Schlager wie zur Animation der dahingesunkenen, siechen und niedergeschlagenen Heiminsassen, dazwischen immer wieder Passagen aus Handkes Text, der hier zum Material wird für ein szenisches Gesamtkunstwerk, in dem sich lustige und sarkastische Bilder gegen die pessimistischen Kulturprognosen des nun achtzigjährigen Autors stellen:

– „He lost his momentum«, er hat seinen Moment verloren. Und so hat auch das Theater seinen Moment verloren, vorderhand, oder für immer?
– Und das Seltsame daran, das ganz und gar nicht schön und gut Seltsame: Auch der Film hat die Sprache verloren.“

Die Alten und ihr Pflegepersonal teilen sich Geschichtchen und Anekdoten, als hätten die Has-Beens in der Anstalt all das schon dutzende Male erzählt, so dass jeder ihre Stories schon in- und auswendig kennt und mitsprechen kann. Gegen diese leicht polemische Textvergreisung kommt in der Wiener Aufführung nun aber ein ganz unfreiwilliger poetischer Kontrapunkt zum Tragen, der wie vom alten Handke stammen könnte: Da die drei alten Akteure im schnellen Textwechsel nicht mithalten, raunt ihnen eine dumpfe Stimme hinter dem Dekor dauernd Stichworte zu. Das ist auch im Saal gut zu hören und klingt komischer Weise so, als wäre das ganze unbelebte Theater hinter dem bunten Geschehen die unbeirrbare Stimme des abwesenden Autors.

Handke, nun selbst schon Großvater, hatte die Beziehung von Großvätern und Enkeln im Blick, versteht seinen verehrten Großvater mütterlicherseits als große Ausnahme von den historischen Trends seiner Zeit. Und er fragt sich, welche Spuren das begeisterte österreichische Mitläufertum der Nazizeit in der Mentalität der Enkelgeneration hinterlässt. Ihm geht es um die Spurensuche des Vergangenen im Aktuellen. Diese wie auch immer handke-artig verschwurbelte, historische Raumtiefe hat Rieke Süßkow auf eine ewige Gegenwart zusammenschnurren lassen. Bei ihr sind Großeltern- und Enkelgeneration in einer aktuellen Altersheimsituation zusammengesperrt, die einen senil, die anderen musikalisch getaktete und autoritäre Pflegeroutiniers. Eine Generationenbeziehung als simpler Dienstleitungszusammenhang.
Am Ende siegt der Rhythmus über das Leben der Jungen. Die Alten verlassen einfach die Bühne; die Enkelgeneration bleibt zurück mit stierem, leerem Blick und unwillkürlichem Technozucken in den Knochen.