Rasha-Abbas-Kurzgeschichtenband-Eine-Zusammenfassung-am-Gorki-Theater

Exil-Literatur am Gorki-Theater
„Was uns zerbricht, das rettet uns“
von Eberhard Spreng

Die Journalistin und Autorin Rasha Abbas verließ Syrien 2013. Ihre Erzählungen „Eine Zusammenfassung von allem, was war“ kam in der deutschen Übersetzung 2018 auf den Markt. Zusammen mit einigen Mitgliedern des „Exil-Ensembles“ des Gorki-Theaters hat Sebastian Nübling eine Theaterversion entwickelt.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 07.02.2022 → Beitrag hören

Foto: Ute Langkafel

– “Imagine there is a show
– Imagine there is a show about loneliness
– Imagine there is a show about loneliness and it’s funny
– Imagine there is a show called ‘Eine Zusammenfassung von allem was war’”

Das kleine Ensemble sitzt in der ersten Reihe und blickt, genau wie das Publikum, in einen leeren schwarzen Bühnenraum. Wir sollen uns etwas vorstellen zu der sprunghaften, metaphorischen, symbolistischen, zersprengten Literatur der Exilsyrierin Rasha Abbas. Und statt zuversichtlich gleich in die erste Geschichte einzusteigen, im Gefühl der Gewissheit um die Tauglichkeit theatraler Mittel, illustriert Regisseur Sebastian Nübling mit dieser Szene zunächst einmal eine Verunsicherung: Vielleicht wird er die Essenz der Kurzgeschichten um die Erlebniswelten von Menschen in Syrien und im Exil nicht zu fassen bekommen. Aber kurz darauf wird die Bühne im Sturm erobert, im wütenden Tanz wie zu Beginn eines ausgelassenen Clubabends und mit Worten aus Rasha Abbas erster Geschichte:
„Mein Name ist unwichtig. Ich bin dreißig Jahre alt. Sie können mich Samt nennen, dürfen mir gerne eine Zigarette anbieten.“

Da ist ein junge Frau im Irgendwo ihres erratischen Lebens, Tattoos auf dem Unterarm, obdachlos, auf dem Weg zu ihrem Schlafplatz. Das vierköpfige Ensemble spricht die Texte dieser auch schon in Abbas erster Kurzgeschichte abstrakten Figur im Wechsel. Auf Verkörperung ist dieser kurze Abend nicht aus. Eher auf die Schaffung eines multimedialen Hallraums für eine Literatur, die Allegorisches, surreale Traumbilder, Traumata entwirft, bruchstückhaft und der abendländischen Lektüre nicht so ohne weiteres zugänglich. Da mischen sich alttestamentarische Motive in zeitgenössische Erfahrungen, eine blutige Legende aus der Abbasiden-Dynastie von vor 1000 Jahren in einen morbiden Gedankenstrom um ein russisches Roulette.

Foto: Ute Langkafel

„Licht“ schreien die Akteurinnen und Akteure immer wieder, um zum Hämmern der Lautsprecher immer neue performative Kraftakte einzuleiten. Und also flammt ein schneidend violetter Lichtstrahl auf und meißelt einen zuckenden Körper aus dem Bühnennebel. Auch die Texte tanzen mitunter an diesem dreisprachigen Abend, der arabisch, englisch und deutsch übertitelt wird. Zu der Geschichte einer bedrohlichen Drogenerfahrung:
„Ich weiß genau was jetzt passieren wird: Er bringt mich ins Krankenhaus, wo man Drogen im Blut feststellen wird. Vielleicht ruft man dann die Polizei und ich ende im Knast. Dort werden Polizeibeamte sich einen Jux daraus machen, mich zu demütigen und daran zu erinnern, dass ich ein Flüchtling bin.“

Videoprojektionen werfen psychedelische Traumbilder in den Nebel, Tunnelanblicke, kreisende Schädel. Und doch lässt sich der syrische Krieg bis auf seltene explizite Anekdoten immer nur als Background der Erzählungen ahnen. Wiederholt geht es jenseits der Checkpoints und abgelegenen Hotels um kindermordende Väter, in dem man metaphorisch den syrischen Staat erkennen mag, um ungewollte Schwangerschaften, um Lieblosigkeiten in einer dystopischen Welt. Und um einen Hauch Ironie, um das alles besser zu verkraften. Denn Abbas Literatur offenbart vor allem das Unverarbeitete, das nicht zu Bewältigende in der Erfahrungswelt von Krieg und Exil. Gelegentlich unterbricht sich der Bilderstrom selbst, damit sich das Theater für Momente zum Metatheater verwandeln und die Ausgangsfrage vom Anfang noch einmal stellen kann: „Eine Zusammenfassung von allem, was war“ spielen, geht das überhaupt? Einmal soll Kinan Hmeidan Gesichtausdrücke performen, die seine Gefühle bei der Lektüre der Kurzgeschichten wiedergeben sollen. Es sind im scharfen Lichtkegel vor schwarzem Hintergrund vor allem Grimassen und, ganz wie aus Gemälden des Barockmalers Caravaggio gesprungen, Fratzen des Entsetzens. So ist es denn auch mit dem kurzen lauten, grellen Abend: Er kommentiert Rasha Abbas mit einem einzigen heftigen Grundton. Mit beeindruckendem Powerplay, bedingungsloser Verausgabung, Bildern der Verlorenheit. Mit dem Protest der Körper gegen die Macht der dunklen Gedanken. Damit findet er aber immer nur einen Mood, einen Ton für Kurzgeschichten, die außer Qualen surreale Wunder bereithalten. Und so wirkt das Theater letztlich pessimistischer als Rasha Abbas phantasmagorische Literatur, die mit einem hölderlin‘schen Programmsatz beginnt: „Was uns zerbricht, das rettet uns. Amen.“