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Performer Rabih Mroué mit zwei neuen Arbeiten
Im planetarischen Exil
von Eberhard Spreng

Der libanesische Autor, Performer, Regisseur und Künstler Rabih Mroué hat in seinen Performances immer wieder das Verhältnis von Politik und Kunst untersucht. Zusammen mit Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker entstand das Werkstattfomat: „A little bit of the moon“. Zusammen mit Lina Majdalanie zeigt er „Quatre murs et un toit“ – zu Deutsch: Vier Mauern und ein Dach, wo es um um Brechts Vorladung vor das Komitee für unamerikanische Umtriebe im Jahr 1947 geht. Beides hat beim Pariser Herbstfestival Premiere.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 18.12.2024 → Beitrag hören

Rabih Mroué sitzt genau in der Mitte der Vorderbühne mit strengem Blick ins Publikum und verliest aus einem Papierstapel Fragen, die der Ankläger des Komitees für unamerikanische Umtriebe am 30. Oktober 1947 dem deutschen Dichter und Dramatiker Bertolt Brecht stellte.

„Haben sie revolutionäre Gedichte, Stücke und andere Texte verfasst?“ fragt der Vorsitzende. „Waren Sie Mitglied der kommunistischen Partei?“

Brecht hatte zu diesem Zeitpunkt bereits sein Ticket für die Ausreise aus den USA in der Tasche. Und er wusste um die ideologische Aggressivität der McCarthy-Ära, die für zahlreiche Hollywood-Künstler das Ende ihrer Karriere bedeutete. All das erzählen uns Autor und Regisseur Rabih Mroué und seine Co-Performerin Lina Majdalanie, belegt durch Photos der Betroffenen und kurzen Videos mit Ausschnitten der damaligen Anhörungen auf einer großen Videoleinwand. Zwischenzeitlich spielt Henrik Kairies am Klavier und singt: Das „Lob des Lernens“ von Brecht und Eisler und das Solidaritätslied.

„Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht…“

Besonders interessant wird die neue Arbeit des Performance-Duos allerdings da, wo sie ihren rein dokumentarischen Charakter hinter sich lässt und Fiktionales in die belegte historische Situation einstreut. Mit Künstlicher Intelligenz generiert seien, so erklärt man uns, auch Ausschnitte einer Erklärung, die Brecht für seinen Anhörungstermin vorbereitet habe.

„Deutschland schien eine Zeit lang auf dem Weg zur Demokratie.“

Pseudodokumentarische Fiktion überlagert nun immer mehr das reale historische Ereignis. Was ist historisch verbrieft, was plausible Erfindung? Nun setzt das libanesische Performance-Duo aber auch Brechts Erfahrung in Beziehung mit dem eigenen Exil. Was dürfen Künstlerinnen und Künstler heute sagen? Was denken? Was verbindet Brechts Exilerfahrung mit der Gegenwart? Wie funktioniert Repression und Verfolgung des freien Redens und Denkens damals und heute? Bevormundung und Cancel Culture sind hierfür die Stichworte. Aber statt der bei diesen Themen sonst üblichen Erregungszustände gleitet die Aufführung nun in eine Sphäre milder Reflexionen. Was ist Heimat? Was ein sicherer Ort für die Denkräume und Gefühlswelten von Künstlern? Reichen die titelgebenden vier Wände und ein Dach dafür aus? Eine quasi universelle, eine süße Melancholie ergreift die Bühne und den Saal.

In einen regelrecht planetarischen Zusammenhang stellt Rabih Mroué seine Reflexionen über das ewige Exil des Menschen in der zweiten neuen Produktion beim Herbstfestival in Paris. Zusammen mit der Choreographin Anne Teresa de Keersmaeker entstand „A little bit of the moon“. Mroué und die belgische Tänzerin und Choreografin begegnen sich auf weiter Spielfläche, um die das Publikum ein großes Oval bildet. Wie zwei sehr unterschiedliche Planeten und immer wieder begleitet von zwei umherwandernden Lichtkegeln umkreisen sie sich, kreuzen ihre Bahnen. Dann greifen die beiden unvermittelt zu Querflöten und üben ein Duett von Wilhelm Friedemann Bach. Später wird die berühmte Choreografin zu Querflötenimprovisationen des libanesischen Performers tanzen, bevor sich beide in einem kleinen Gespräch über ihre frühen künstlerische Erfahrungen zu Beginn der 1980er Jahre austauschen:

„Im Grunde folgt man seinem Bild im Spiegel des Ballettsaals“ sagt da Anne Teresa de Keersmaeker über ihre klassischen Anfänge, bevor sie in New York ihren Stil findet: „Ich werde mich nun nicht mehr darum kümmern, wie meine Bewegung von außen aussieht, sondern wie sie sich von innen anfühlt“.

Die eher kleine Arbeit „A little bit of the moon“ ist ein relativ neues Werkstattformat im Programm des Herbstfestivals, das wie ein Experiment für die Erprobung von Schnittflächen bei der Begegnung von ganz unterschiedlichen Künstlerpersönlichkeiten gedacht ist. Das ist in schönen Momenten kindlich verspielt, in schlechten künstlerisch inkohärent und dramaturgisch beliebig. Es endet mit der Einladung ans Publikum, sich zu Nina Simones „In the Evening by the Moonlight“ auf der Bühne zum Tanz zu versammeln. Wir sind zwar immer allein in unserem existentiellen Exil, aber dieses Gefühl lässt sich mit dem Blick auf die Planeten und im Tanz für Momente überwinden.