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Kriegsstücke am Gorki-Theater
Puppen sterben tausend Tode
von Eberhard Spreng

Oliver Frljić beendet seine Kriegstrilogie am Gorki–Theater mit einer Kollage aus Heiner Müller Stücken. „Schlachten“ befasst sich dabei auch anhand diverser anderer Materialen mit dem Krieg als Ausnahmesituation für menschliches Denken und Fühlen.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 26.03.2023 → Beitrag hören

Foto: Ute Langkafel

Puppen sterben viele Tode: Zunächst legt Mehmet Yilmaz sie zwischen Spielzeugpanzern und Maschinenpistolen auf dem Boden aus, später wird man sie mit Schaufeln auf einen Haufen werfen, dann wieder fliegen sie im hohen Bogen auf die Bühne zurück, bevor sie von Gewehrkolben erschlagen und in ihren Augenhöhlen Zigaretten ausgedrückt werden. Ein Kabinett des Grauens inszeniert Oliver Frljić, in dem die Puppen natürlich für die willenlose Verfügungsmasse Mensch stehen, die den großen Kriegen des 20ten Jahrhunderts zum Opfer fielen. Um diese, um Stalin und Hitler zumal, ging es Heiner Müller in den verschiedenen Stücken, die Frljić hier zu einem Kriegs-Potpurri verschnitten hat.

„Die Menschheit ist ein trübes Material
Ameisen unterm Stiefel. Wie soll ich
Die träge Masse Russland im Genick
Den neuen Menschen schaffen, wenn der alte
Nicht liquidiert wird, Gestern für dein Morgen.
Das Massengrab geht mit der Zukunft schwanger
Menschen aus neuem Fleisch sind was die Zeit braucht.“

Zu Stalins Text aus „Germania 3 Gespenster am toten Mann“ zuckeln Performerinnen und Performer im Hintergrund über die Bühne, mit Masken von Hitler und Lenin, ganz wie es Heiner Müller vorsah, der kurze Zeit nach dem Verfassen dieses Textes 1995 verstarb. Die ganze Aufführung ist gruseliges Maskentheater, Weltgeschichte auf Projektionsflächen, Agitprop und Emblematik. Auch der Bundesadler wird bemüht, aber seine Bedeutung im Horrorkabinett der Kriege bleibt im Unklaren. Auf Nationalflaggen wird getanzt, Tim Freudensprung und Mehmet Yilmaz stecken in langen roten Weihnachtsmannmänteln, wenn sie ihr Kinderpuppenmassaker exekutieren. In Frljićs Bildern steckt auch dieses Mal ein hohes Maß an Provokation und die ist ihm so lieb, dass er darüber das Nachdenken über das dramaturgische Zusammenwirken von Symbol, Bild, Text und Spiel vergisst. In einer Show fragt man das Publikum zynisch nach dem Grad der Betroffenheit im Angesicht des Grauens.

Foto: Ute Langkafel

„All right, wer ist das perfekte Opfer? Für wen habe ich am meisten Mitgefühl? Für wen schlägt mein Herz am höchsten? Denn nur einer kann Germanys Next Top Opfer werden. Also lasset die Spiele beginnen!“

Mehr als einmal kündigen die Performerinnen an, sie bräuchten eine Pause von „Heiner fucking bam! Müller“. In raumgreifenden Videoprojektionen rollt eine Liste mit der Chronik von Kriegen über die Gorki-Theater-Wände. Bekannte sind darunter, unbekannte sind zu entdecken. Eine deprimierende Bilanz in Jahres- und Opferzahlen. In dem ganzen Materialhaften der Aufführung geht das angekündigte Herzstück des kurzen Abends verloren. Müllers „Philoktet“ von 1964, in dem es um Taktik, Wahrheit und Lüge in Zeiten des trojanische Krieges geht, ist so sehr zur Unkenntlichkeit verkürzt, dass das Publikum aus den Trümmern keinerlei Erkenntnisse über Haltungen zu Krieg und Kriegsteilnahme mehr gewinnen kann. Oliver Frljić nimmt den Müller-Klassiker eher als Hintergrundtextrauschen für eine Kollage, in der, billig genug, „Imagine“ von John Lennon nicht fehlen darf und natürlich auch nicht die aktuelle europäische Kriegssituation.

„Wenn wir also heute Russland mit Sanktionen dafür belegen, dass es in die Ukraine einmarschiert ist, was ja vernünftig ist, dann müssten wir doch eigentlich auch die USA mit Sanktionen dafür belegen, dass sie in den Irak einmarschiert sind, weil dieser Krieg auf der Grundlage von Lügen und unter falscher Beweisführung geführt wurde.“

Wie falsch diese historische Parallele auch sein mag, sie ist immerhin ein Augenblick der Unterbrechung eines aktuellen Mediendiskurses in Zeiten des Ukrainekrieges. Mentalitätswandel und die von Kanzler Scholz beschworenen Zeitenwende schützen ja nicht vor neuen Irrtümern. Die zu vermeiden, könnte ja ein nobles Ziel von Theater sein. Aber um Erkenntnis ist es dem Regisseur nicht wirklich zu tun. Die Abfolge von Provokationsversuchen führt zu nicht einem einzigen neuen Gedanken, sondern nur in müden Ärger. Die Aufführung schichtet bildhaft Masken auf Masken und gedanklich Phrasen auf Phrasen. Glaubt Frljić allen Ernstes, schlimmes Theater sei die richtige Antwort auf schlimme Kriege?