Michael-Maertens-spielt-Die-Maschine-in-mir

Posthumanismus im Theater
Der Mensch als Algorithmus
von Eberhard Spreng

Der irische Autor Mark O-Connell hat führende Transhumanisten getroffen und nach seiner Recherchereise das Buch „Unsterblich sein“ verfasst. Das wird in der Theaterversion „Die Maschine in mir (Version 1.0)“ nun auch am Wiener Burgtheater als Onlinetheater in der Regie von Ben Kidd und Bush Moukarzel gezeigt.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 01.01.2021 → Beitrag hören

Foto: Marcella Ruiz-Cruz

Diesmal sind wir alle wirklich da. In der Vorbereitung auf die Onlinepremiere am Wiener Burgtheater wurden jede und jeder im ca. achtzig köpfigen Publikum gebeten, drei kleine Videos von sich anzufertigen: Drei formatfüllende Porträts von sich selbst als betrachtendem, schlafendem, lachendem Theaterbesucher. Und deshalb kann der Zuschauer, wenn die Theaterkamera durch das Publikum schwenkt, das aus lauter kleinen Bildschirmen besteht, auf die Suche gehen nach dem eigenen Abbild. Ist es gefunden, stellt sich Beruhigung ein: Ja, man sitzt diesmal, nach Monaten des Videostreamens, der Online-Premieren und Zoomkonferenzen irgendwie wirklich da im Theater, wenn auch nur als Spiegelbild. Aber es ist auch beunruhigend, denn in dieser pfiffig inszenierten, technischen Co-Präsenz ist natürlich schon das ganze Elend der transhumanistischen Hoffnung eingefangen, die sich der Abend zum Thema macht. Menschen sind noch präsent, aber ohne ihre Körper. Es beginnt mit dem Gefühl der Entfremdung des Autors Mark O’Connell bei der Betrachtung seines Gesichts im Spiegel.

„Und wegen genau solcher Gedanken – die ich oft habe, wenn ich mich im Spiegel ansehe – habe ich mich aufgemacht und Leute getroffen, die alle glauben, dass wir erst, wenn wir uns unserer Körper entledigen, wirklich wir selbst werden. Alle Menschen, die Sie heute Abend kennenlernen, gehören zu einer Bewegung, die sich Transhumanismus nennt.“

Michael Maertens verkörpert in diesem kurzen 45 minütigen Bühnensolo den irischen Schriftsteller Mark O’Connell, der in Bezug auf Theaterbesuche über eine Blasenschwäche klagt. Unser Zugang in die Welt der Transhumanisten führt also über die Wahrnehmung einer körperlichen Schwäche. O’Connell hatte für sein Buch „Unsterblich Sein“ einige der Protagonisten – Protagonistinnen gibt es ja bezeichnenderweise nicht – des ewigen Lebens in digitaler Stellvertretung besucht.

Stars der posthumanistischen Szene

Programmierer und Hacker Tim Cannon etwa, der sich selbst ein Smartphone großes Gerät in den Arm implantieren ließ, um biometrische Daten zu erfassen. Dem irischen Autor sagte dieser Tim Cannon am Ende des Interviews etwa folgendes:

„Ich bin hier gefangen. Ich bin in diesem Körper gefangen. Wenn Sie mit Transgender-Personen sprechen, sagen die Ihnen, sie sind im falschen Körper gefangen. Ich bin aber im falschen Körper gefangen, weil ich überhaupt in einem Körper stecke. Jeder Körper ist ein falscher Körper.“

Immer wieder wischt Michael Maertens über ein großes Tablet, das auf einer Halterung neben ihm auf der Bühne steht und holt so neue Bebilderungen auf den Schirm. Und einmal sieht man darauf ein immer lauter kreischendes Neugeborenes, das die Vorstellung vom Schmerz untermauern soll, der allem menschlichen Leben anhaftet. Mit neckischer Unachtsamkeit stößt Maertens dann das Tablet und damit dieses doch so kostbare Menschenkind aus der Halterung zu Boden und hebt es als ein gesprungenes Spiegelbild wieder auf. Eine von vielen Regieideen, mit denen die Irrfahrt durch die nunmehr zunehmend südwestamerikanische Transhumanistenszene fürs Online-Theater aufgepeppt wird. Von Max Mores Alcor Life Extension Foundation ist nun die Rede.

Der Traum vom ewigen Leben im digitalen Raum

Sie betreibt nahe eines kleinen Flughafens ein Labor, in dem Frischverstorbene ihre Köpfe in Flüssigstickstoff vereisen lassen können, in der Hoffnung, dass ihr Gehirn eines Tages mithilfe von Zukunftstechnologien als Algorithmensammlung zu neuem Leben erweckt werde.

„Die Transhumanisten sprechen von einer Zukunft, in der Menschen mit Maschinen verschmelzen, einer Zukunft, die nur möglich ist, weil – wie sie glauben – wir bereits Maschinen sind, Datensammlungen, komplexe Algorithmen“

Mit durchdringendem Blick in die Kamera, mit pastoraler, etwas getragener Stimme spricht Michael Maertens von all den Spekulationen eines neuen Mensch-Maschine-Zeitalters, in dem auch Google-Mastermind Ray Kurzweil nicht fehlt. Auch nicht und quasi als Mahnung wird die alte sumerische Erzählung von Gilgamesch und dem alten Menschheitstraum der Unsterblichkeit erwäht. Alles gut und oft auch schön. Was dieser Meditation über die neuen Grenzen des Seins dann aber doch fehlt, ist die zeitgenössische Kritik an Trans- und Posthumanismus, die es ja auch gibt. „Die Maschine in mir“ ist eine bedrückende und letztlich doch etwas unentschiedene Meditation über eine höchst ambivalente Zukunftsaussicht.