Marius-von-Mayenburgs-Nachtland-an-der-Schaubuehne

Uraufführung an der Schaubühne
In der braunen Rumpelkammer
von Eberhard Spreng

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 04.12.2022 → Beitrag hören

Ein Gemälde von Reichskanzler Adolf Hitler findet sich beim Entrümpeln im Haus des verstorbenen Vaters. Was nun? fragen sich Tochter und Sohn und deren Ehegatten. Marius von Mayenburgs „Nachtland“, das der Autor selbst urinszeniert, ist eine grimmige Farce über Nazi-Kunst, Antisemitismus und andere aktuelle deutsche Gefühlszustände.

Foto: Gianmarco Bresadola

Der Vater ist gestorben und Tochter Nicola und Sohn Philipp müssen nun das Haus entrümpeln. Die in solchen Situationen fast unvermeidlichen Geschwisterkonflikte werden zusätzlich von einem kuriosen Fund angeheizt. Auf dem Dachboden haben sie unter lauter Sperrmüll ein kleines Aquarell gefunden und nun stellen sich die Geschwister und deren Ehegatten Fragen über dessen Provenienz.

– „Und ich beug mich über die bemalte Pappe und da sind über das Straßenpflaster ein paar rotbraune Buchstaben gepinselt: ‚A. Hiller’.
– Nein, da steht nicht Hiller. Das ist ein t. Da steht Hitler.“

Während schon die Geschwister und Nicolas Ehemann Fabian ob des prominenten Fundes insgeheim frohlocken, möchte Philipps jüdische Ehefrau Judith das ansonsten künstlerisch fragwürdige Gepinsel am liebsten loswerden. Aber Marius von Mayenburgs immer am Rande der Farce entlang schrammende Komödie nutzt das Bild pfiffig als Vektor für eine griffige Abrechnung mit den ganzen nazi-braunen Einfärbungen, die bis in die Mitte der Gesellschaft hineinreichen. Denn das hier ist keine waschechte Neonazi-Familie, sie wird nur eingeholt von ihrer etwas dunklen Familiengeschichte und einem zweifelhaften Nationalerbe. Das zeigt sich auch im Bühnenbild: Über der mit braunem Flokati ausgefütterten Bühne erhebt sich eine Videoleinwand, auf der vorwiegend die romantischen Landschaften eines Caspar David Friedrich aufleuchten, ergänzt durch Einblendungen, in denen die Protagonistinnen und Protagonisten wie Gartenzwerge erscheinen. Zu diesem putzigen Deutschlandbild gehört natürlich auch Wagners „Tannhäuser“.

„Beglückt darf nun dich, o Heimat, ich schauen“

Schnell erliegt die Erbengemeinschaft dem Reiz des Geldes, das der Verkauf des Hitler-Bildes einbringen könnte. Bildhaft zeigt sich das, wenn Nicola und Ehemann Fabian – sie träumen von einem Eigenheim – sich in einem der projizierten Hitlergemälde auf der gemalten Terrasse heimisch machen. Seit Beginn der Aufführung stand im Bühnenhintergrund Frau Dr. Evamaria Günther bereit, um mit ihrer Expertise die Echtheit des Werkes zu bezeugen, das ihr bei Verkauf einige Prozente einbringen dürfte.

– „Ich erkenne einen Hitler, wenn ich vor ihm stehe. Die Pinselführung, bei Hitler bevorzugt von unten herauf nach rechts. Aber vor allem der Originalrahmen von Samuel Morgenstern. Diese einzigartige Kombination lässt alle weiteren Fragen verstummen.
– Das heißt, es ist echt?
– Ohne jeden Zweifel.
– Ein echter Hitler.“

Es ist sicher kein Zufall, dass die Expertin im Stück aus einem Nürnberger Auktionshaus kommt. Das erinnert an eine Auktion dort, als im Jahre 2014 Hitler-Kitsch mit Preisen von über 130 Tausend Euro für ein Einzelstück versteigert wurden. Und an den Fall einer stornierten Nürnberger Auktion nach dem Verdacht auf Fälschung der Signaturen vor drei Jahren.

Israelkritik und Antisemitismus

Mit Nazi-Kunst machen auch Museen viel Geld und die einzige im Mayenburg-Universum, die da nicht mittun kann, ist die von Jenny König gespielte Jüdin Judith. Sie muss sich vor allem mit Nicolas vorgeblich israelkritischem Antisemitismus auseinandersetzen.

– „Aber es ist schon erstaunlich, daß ausgerechnet die Juden da unten Menschen vertreiben und tyrannisieren, daß sie Lager einrichten, Mauern bauen, Menschen töten
– Wieso „ausgerechnet“? Wieso „ausgerechnet die Juden“?
– Weil ihr es eigentlich besser wissen müßtet.
– Woher? Woher müßten „wir“ es eigentlich besser wissen? Weil Juden im Dritten Reich verfolgt wurden?
– Natürlich.
– Und du meinst, aus der Erfahrung hätten wir was lernen sollen?
– Wir haben ja auch was draus gelernt.
– Das wusst ich nicht, daß der Holocaust eine Art Erziehungsprogramm war für die europäischen Juden, damit sie sich besser benehmen in „Palästina“, aber klar, macht Sinn.“

Mayenburg verpackt aktuelle Debatten in polemischen Streit. Da wird neben dem Antisemitismus vor allem die Frage verhandelt, ob Artefakte in der Nachwelt als autonome Kunstwerke weiterleben können, abgelöst von ihren Schöpfern und ihrer Entstehungsgeschichte. In Mayenburgs Dunkeldeutschland jedenfalls wird die widerspenstige Jüdin gegen Ende einfach ausgesperrt, damit sich Bruder und Schwester zu einem inzestuösen Kuss vereinigen können, während im Video Segelschiffe im Stil von Caspar David Friedrichs „Lebensstufen“ im Meer versinken. In diesem Theater, das auf feine Figurenzeichnung zugunsten programmatischer Kernaussagen verzichtet, ist die Ironie längst schon in Sarkasmus umgeschlagen. Kein Wunder: Wie will man denn auf dem Theater die gegenwärtige Realsatire sonst noch toppen.