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Kleistförderpreis junge Dramatik
Von Schimären und Privilegien
von Eberhard Spreng

Magdalena Schrefel „Ein Berg, viele“ erhielt in diesem Jahr den Kleist-Förderpreis für junge Dramatikerinnen und Dramatiker: Ein Stück über Europa und das Afrika kolonialer Projektionen. In Leipzig wurde das uraufgeführt.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 29.09.2020 → Beitrag hören

Foto: Rolf Arnold

Das Hygienekonzept im kleinen Haus des Schauspiel Leipzig mutet abenteuerlich an: Jede Reihe ist besetzt, die Stühle eng in Dreier- und Zweiergruppen, dazwischen kleine Lücken von ca. 25 Zentimeter; die Abstände sind also weit unter einem Meter. Masken brauchen nicht getragen zu werden. Im von Corona nur sehr milde betroffenen Leipzig können sich Theater und Gesundheitsamt solchen Optimismus erlauben. Dennoch freut sich der überraschte Gast aus der Hauptstadt über die vier großen Glasvitrinen, in die die zwei Performerinnen und zwei Performer immer wieder eintreten, um also von hinter einer Scheibe lauthals ihre Botschaften zu verkünden. Alle tragen das gleiche weite rosa Kleid und die rosa Damenperücke im Pagenschnitt, umgeben von einigen Tieren, die aus Harz gegossen sind: einem Zebra, einem Elefanten zum Beispiel. Die Akteure spielen keine Personen, sie sind eher Platzhalter für Figuren, die Magdalena Schrefel für ihr Stück vorsieht: Zum Beispiel einen Geografen, seinen Butler und dessen verspielte Kinder.

– „Was hat er gesagt?
– Wer?
– Der Butler!
– Wann?
– Vorhin, vorhin als du gelauscht hast!
– Gelauscht habe ich gar nicht.
– Nun sag schon!“

Jeder spielt hier jede der Figuren in „Ein Berg, viele“. Leitmotiv des Stückes sind die irregeleiteten Vorstellungswelten, die das kolonialistische Europa vom afrikanischen Kontinent hat. Schrefels Geograf ist die theatrale Wiederkehr eines James Rennell, der im 18. Jahrhundert kurzerhand und ohne Kenntnis der Topographie die „Kong-Berge“ in seine Landkarte zeichnete, weil er der Vorstellung anhing, ein Gebirge müsse der Grund sein für die gewaltige Schleife, die der Fluss Niger dort macht.

–„kann ich mir den Verlauf des Flusses nicht anders erklären, als dass da ein sehr großer Berg sein muss. Ein Berg, daher krümmt sich der Fluss. Dieses Gebirge will ich Kong nennen.“

Foto: Rolf Arnold

Brav haben spätere Landkartenzeichner diesen Fehler reproduziert, bis man den anders lautenden Berichten eines französischen Afrikaforschers am Ende des 19ten Jahrhunderts Glauben schenkte. Ein riesiges Massiv von tausend Meter Länge; nichts weiter als eine europäische Schimäre. Mit bedruckten Rollos, die sich an den Rückseiten der Standvitrinen abrollen lassen, wird das bebildert. Ein Gebirge als Grafik aus schraffierten Strichen. Andere Motive, sowie wechselnd farbiges Licht sollen die Themenwechsel illustrieren. Denn da ist auch die Figur einer heutigen Dokumentarfilmemacherin, die sich aufmacht zu den Rändern Europas.

„Europa, das ist ein gefräßiger Kraken, der seine Tentakel ausstreckt, der in die Höhe wächst, in die Tiefe und in die Breite, der sich den Sand von unseren Küsten weiter und immer weiter einverleibt, bis nichts mehr, kein Korn und kein Garnichts mehr übrigbleibt.“

Sand ist eine massiv überausgebeutete und inzwischen knappe Ressource, die in unzähligen Produkten Verwendung findet, wie die Filmemacherin Pearl dem Publikum erklärt. Am Ende kippt die prekäre Situation von Armut und Migration, die sie dokumentieren will, in panische Zustände. Dank ihres europäischen Passes und der anhängenden Privilegien, kann sie sich in ihr Hotel retten, dann ins Flugzeug nach Hause. Das Auge der Filmmacherin heute sah etwas mehr von der Welt als das Auge des Geografen damals, und doch sind beide gefangen in einem vorgefertigten Narrativ, einem kolonialen Privileg. Magdalena Schrefel ergänzt ihre Mainstreambotschaft mit etwas verquaster Symbolik rund um den Berg, der in allem und jedem aufzuspüren sei. Solcherlei Überformungen von Weltgegenwartsthemen mit Symbolik und Allegorie gefällt beim Kleistförderpreis, der im letzten Jahr eine Metapher über Rohstoffausbeutung und die Minenarbeiter des globalen Südens bepreiste und nun die Bilderkollage um den kolonialen Blick der Europäer. In einer unverbundenen Folge dystopischer Endzeitszustände endet sie. Sehr brüchig und sprunghaft ist die Erzählung, sehr kontur- und inhaltslos die Figuren. Regisseurin Pia Richter hat sie konsequent eliminiert und Schrefels Stück so zur performten Textfläche gemacht. Aber immer wieder fragt man sich, ob das alles nicht besser gleich in einer dokumentartheatralen Kollage untergebracht wäre.