Kay Voges inszeniert Sibylle Bergs RCE #RemoteCodeExecutions

Dystopisches Revolutionsmusical
Animierte Wimmelbilder
von Eberhard Spreng

Erst Anfang des Monats beschädigte die Sprinkeranlage des Berliner Ensemble Teile der Bühnentechnik massiv. Und dennoch konnte Kay Voges nun in diesem Theater eine technisch sehr aufwändige Arbeit realisieren: RCE – #RemoteCodeExecution ist die Theaterversion des vor zwei Jahren erschienenen Romans von Sibylle Berg.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 26.04.2024 → Beitrag hören

Foto: Marcel Urlaub

Die Bühne ist eine einzige Projektionsfläche. Und in sie eingelassen ist ein wabenförmiger Spielraum, in den das fünfköpfige Ensemble durch vier Zugänge auf oder absteigen kann. Wir dürfen uns also vorstellen, dass da außerhalb unseres Sichtfeldes noch unzählig viele andere dieser Zellen sind. Ein Blick in die Unendlichkeit der Wiederholung. Wir sehen eine Menschheit im Bienenmodus, eingefangen in ein fremdbestimmtes Verhaltensprogramm.

„Die unfassbare Menge an realen und gefälschten Informationen, an Schwachsinn, Brutalität, und die Geschwindigkeit, mit der die alten Gesellschaftsordnungen verschwanden und durch irgendwas ausgetauscht wurden, versetzten die Bevölkerungen in permanente Erregung, Erregung, Erregung, Erregung – Beschäftigt waren sie in Großraumbüros mit der Programmierung dessen, was sie unnütz machen würde.“

Alle fünf Performerinnen und Performer stecken in schwarzen Anzügen und exekutieren zu präzis choreografierten Gesten eine Sprachpartitur, die Regisseur Kay Voges und Sibylle Baschung aus dem dystopischen Romanmonster der Sibylle Berg herausdestilliert haben. Elf Digital Artists, wie das Programmheft sie nennt, haben dafür das visuelle Rahmenwerk entworfen. Das pulst, swingt und flimmert in kaleidoskopischer Brechung um die zentrale Wabe: Mal sind es 3-D-animierte Muster, dann moderne Stadtansichten, später auch Straßenkämpfe mit Bildern von Menschen, in denen Comic- und realistische Darstellungen ineinander übergehen, Körperformen zerfließen und sich neu zusammensetzen.

Masse Mensch im Strom der Daten

In diesem animierten Wimmelbild ist die Masse Mensch zu einer plastisch verformbaren Materie geworden. Ein Stoff, der mit den Datenströmen und digitalen Regelsystemen verschmilzt, die von globalen Technologiekonzernen beherrscht werden.

„Der wichtigste technische Teil der Massenmobilisierung: Ein überwachungssicheren Kommunikationskanal für die Verbreitung von Propaganda.“

Vier Computernerds wollen das digitale Überwachungs- und Unterdrückungssystem mit den eigenen Mitteln hacken und entwickeln die RCE-App, eine Art Netzwerk zur Vorbereitung von Desinformation, und zur Manipulation der Geldströme und Lieferketten. Die App soll den Systemzusammenbruch und die globale Revolution vorbereiten. Eine smarte Influencerin rät zum Dowload:

“Whatsapp – boring! Signal – boring! Threema – boring! Und das aller schlimmste – Facebook Messenger – Cringe! Boring! Das machen wir nicht mehr. Das ist vorbei. Leute, denn jetzt kommt der geile Scheiß! Alles worauf wir seit Jahren gewartet haben. Checkt das aus: Die RCE App. Ladet euch die RCE App runter.“

Diese Szene ist als Video zu erleben, die Bühne wird immer wieder zur Projektionsfläche eines suggestiven, hypnotisierenden Bilderstroms.

Sibylle Bergs dystopischer Roman strotzt von Worten wie: Geo-Fencing, Deepfake oder Dark Patterns. Die von aktuellem Digitalsprech durchsetzte Literatur streift mit grimmiger Metaphorik Themen wie den Abbau der Sozialsysteme, Verelendung, Umweltzerstörung, Rechtsruck und Autokratie. Sie will den systemischen Irrsinn einfangen und eigentlich so alles, was die Kritik des Neoliberalismus schon seit Jahrzehnten zu bieten hat.

Geburt der Science Fiction aus dem Geiste der Musik

Kay Voges gelingt es allerdings, all das auf 72-Minuten herunterzubrechen und in der Verschmelzung von Bild und Ton in ein Gesamtkunstwerk zu bündeln, dessen Elemente wie ein Uhrwerk präzise ineinander greifen. Deshalb wird den Akteurinnen und Akteuren der Sprechrhythmus ihres Oratoriums per Ohrhörer vorgegeben. Asynchronitäten duldet diese Bühneninstallation nicht.

„Remote Code Executions – Remote Code Executions”

Es ist also letztlich das Regelwerk der Musik, das über diesem digitalem Welttheater den Taktstock schwingt. RCE-RemoteCodeExecution ist das, was der Titel verspricht: Ein Zukunftsmusical, das wie von außerhalb getaktet ist, ein Theater, das sich technisch und ästhetisch ganz seinem Thema unterwirft. Das sieht so aus, als sei es, einmal programmiert, von Menschen nicht mehr zu stoppen. Solchermaßen fusioniert mit medialen Bildwelten sah man Theater noch nie.