Kae Tempest Stück in Straßburg
Musik befreit
von Eberhard Spreng
Kae Tempest ist bekannt durch Poetry Slam, Rap und Literatur. Auch Theaterstücke gehören dazu wie „Hopelessly Devotet“. Dieses hat die ruandisch-englische Choreografin, Sängerin und Schauspielerin Dorothée Munyaneza ins Französische übersetzt und inszeniert es unter dem Titel „Inconditionnelles“ am Nationaltheater in Straßburg. Es ist ein Musterbeispiel für das, was die neue Theaterchefin Caroline Guiela Nguyen vorhat.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 09.11.2024 → Beitrag hören
„Iel“ ist eine französische Wortneuschöpfung der Genderschreibweise; sie ist im Programmheft zur Aufführung „Inconditionnelles“ immer wieder zu lesen. Diese Fusion der französischen Personalpronomen il und elle, also er und sie, bezieht sich dort auf Kae Tempest, britische Poetry-Slamer:in, Schriftstellende und Musikperformende, die sich als nicht-binäre Person versteht. Kae Tempests Stück inszeniert am Straßburger Nationaltheater die ruandisch-englische Choreografin Dorothée Munyaneza. Diese Arbeit ist exemplarisch für den ersten Spielplan der neuen Intendantin Caroline Guiela Nguyen, die das Theater zu einem inklusiven Ort machen will.
„Die Frage nach dem Volkstheater stellt sich auf der Bühne: Da sehen wir plötzlich Menschen, die zuvor nie Theater gemacht hatten, die sich fragen, wie sich Gemeinsamkeiten zwischen Menschen herstellen lassen, die sich überhaupt nicht ähneln. Darum geht es mir, das ist meine DNA und diesen Gedanken trage ich in alle Abteilungen des Hauses. Ein Nationaltheater ist ein öffentlicher Ort und er macht nur Sinn, wenn er von allen geteilt wird.“
Ein weitgehend schwarzes Ensemble verkörpert hier Kae Tempests Figuren und erzählt in schlicht arrangierten Szenen vom Gefängnisalltag der Chess, die nach der bedingten Entlassung ihrer engen Haftfreundin Serena in depressive Einsamkeit verfällt. Silver, eine ehemalige Musikproduzentin mit dubioser Vorgeschichte will das musikalische Talent von Chess in einem Knastworkshop fördern und die Inhaftierte von ihren finsteren Gedanken befreien.
„Schreibe nicht über Kayla, schreibe an Kayla“, rät man Chess. Kayla ist ihre 13-jährige Tochter , den Kontakt zu ihr hatte sie nach ihrer Straftat verloren. Musik soll hier das Verlusttrauma überwinden helfen. Eigenmächtig lädt die zuvor entlassene Serena den im Knast entstandenen Song für die verlorene Tochter ihrer inhaftierten Freundin bei Youtube hoch und beobachtet die Kommentare in den sozialen Medien. Der Song geht viral, aus dem individuellen Schmerz, der Triebfeder für musikalische Kreativität, wird ein Social-Media-Hype. Chess’ intime Suche nach dem eigenen Selbst wird verraten an die öffentliche Wirkung. „Inconditionnelles“ ist ein Stück über Ausbeutung und die Suche nach dem wahren Gefühl in einer falschen Welt.
„Liberez-les!“ singt Chess hier, befreit sie!’ und beklagt das Leid inhaftierter und von ihren Kindern getrennter Mütter. Leider bleibt dieser Rap doch deutlich hinter fast allem zurück, was das europäische Theater sonst in dieser Musikform zu bieten hat. Von Kae Tempests von Wärme und Melancholie durchpulster Poesie ganz zu schweigen. Auch das etwas holzschnittartige Spiel und die wenig inspirierte Regie enttäuschen. „Inconditionnelles“ wird nach den Straßburger Aufführungen auf einem Tanz- und Theaterfestival in Paris zu sehen sein, dem Festival d’Automne, und dann international auf Tournee gehen. Aber hier gelingt der an sich interessante Ansatz nicht, Genregrenzen zwischen Tanz, Theater und Musikperformance aufzubrechen. Allenfalls dem Ziel der Sichtbarkeit von Person of Color wird das Theater gerecht. Die neue Intendantin Caroline Guiela Nguyen, übrigens die derzeit einzige Frau an der Spitze eines der fünf französischen Nationaltheater, betont dieses Ziel insbesondere mit dem Blick auf den Nachwuchs.
„Für unsere Theaterschule ist wichtig, was mein Vorgänger Stanislas Nordey angestoßen hat: Er hat mit Vereinen wie „Die Kunst dekolonisieren“ zusammen gearbeitet, die sagten: ‚Achtung, unsere Bühnen müssen aufhören, nur Bühnen für Weiße zu sein!’ Heute lernen in unserer Theaterschule Menschen aus allen möglichen Himmelsrichtungen. Junge Leute, die sich alle sehr voneinander unterscheiden.“
Differenz und Unterschiedlichkeit fördern, mit der Hoffnung auf eine funktionierende diverse Gesellschaft, dafür will das Straßburger Nationaltheater eintreten, mit mal gelungenem aber diesmal problematischem künstlerischen Beitrag.