Jonathan Meese an der Volksbühne
Werdet Proleten der K.U.N.S.T.!
von Eberhard Spreng
Das 560-seitige Künstlerbuch „Die Monosau“ ist Ausgangspunkt für einen Abend an der Volksbühne, für den Jonathan Meese als Regisseur allerdings nicht verantwortlich zeichnet. Die Ensemble-Arbeit gibt als Regisseur die „K.U.N.S.T.“ aus und konsequenterweise kam Jonathan Meese auch zum Schlussapplaus nicht auf die Bühne.
Deutschlandfunk – Kultur Heute, 18.02.2023 → Beitrag hören
So gegen Anfang, noch bevor jemand eine leise Ahnung davon bekommen könnte, worum es an diesem Jonathan-Meese-Abend geht, schweben diverse Hintergrundbilder vom Bühnenhimmel: Ein Wasserfallpanorama, aber hochkant gehängt, eine Berglandschaft mit einer Mühle aus rohem Holz und manches andere. Dazu fahren die Hubpodien rauf und runter; das Theater macht Budenzauber und zeigt schon mal an Bildern alles vor, was es auf Lager hat. Das macht aber gar nichts, denn eine Geschichte, gar eine dramatische Entwicklung gibt es hier nicht. Und während sehr grell und trashig gekleidete Performerinnen und Performer die Bühne bevölkern, schwebt hoch über ihnen ein in ein großes Ei projiziertes Gesicht. Es ist Jonathan Meese und der verkündet die Spielregel.
„Wir schreiben das Jahr 2023. Und wer ist der Regisseur? Die K.U.N.S.T.! Die K.U.N.S.T.! Das lasse ich mir weder ein- noch ausreden!“
Wir sehen ein Happening, dessen Schöpfer sich als Person verflüchtigt hat und als Götze über dem Geschehen schwebt. Das darf ruhig an die dystopische Science-Fiction-Fantasy „Zardoz“ erinnern, die in Meese Werk immer wieder herumspukt und wo es unter anderem um eine finstere pseudoreligiöse Macht geht, die sich in einem herumschwebenden Steinkopf manifestiert. Aber Zardoz ist nur eine der zahllosen populärkulturellen und mythologischen Quellen, derer sich Meese in seinem Episodenroman „Die Monosau“ bedient hat, der hier auf ein kompaktes Theaterformat eingedampft wurde. Ein Kernthema: Das Gold und seine unbestreitbare Macht über alles jede und jeden.
„Ich bin die Monosau! Ich liebe das Gold! Das ist meins und ihr seid mir alle untertan! Nur das Gold ist mir wichtig alles andere ist mir scheißegal.“
Kerstin Graßmann, einst berühmt geworden in Arbeiten von Christoph Schlingensief, ist zurück auf den Brettern der Volksbühne, an ihrer Seite Susanne Bredehöft und Stars wie Martin Wuttke und Benny Claessens. Sie alle operieren bei ihren Nonsensemonologen in dieser finsteren Kunstmesse ohne jede regieliche Einhegung oder andere Schutznetze. Dementsprechend improvisiert sieht es aus: Gruppenbilder, Konstellationen ergeben sich kaum: Man steht wie aufgereiht auf der Vorderbühne. Oder schreitet in einer kaum arrangierten Prozession über den langen Steg, der quer durchs Publikum führt. Wir erleben pure Performance in Wort und Gesang, befreit vom Zwang, Sinn zu stiften.
“There’s a devil in my hands …”
Benny Claessens singt in einem der bemalten Kostüme, die wie bewegte Leinwände über die Bühne wabern und Versatzstücke aus Meeses Motivsammlungen verkünden: „Mobi Dick mich nicht an“ ist zu lesen, oder der Neologismus „Erz-lichst“. Erz, auch dies ein Phonem, mit dem Meese gerne operiert. Aber das und auch alles andere lockt das Publikum nur immer wieder auf falsche Fährten bei der Suche nach Bedeutungen. Diese Suche sollte man lassen, denn ihre Aussichtslosigkeit verdirbt den möglichen Spaß an den wenigen lichten Momenten. Etwa, wenn Franz Beil seinen Bauch entblößt und damit einen großen aufgemalten Mund, der mit Bewegungen der Bauchmuskulatur eine dröhnende Botschaft kundzutun scheint. „Die Monosau“ will nicht mit kritischem Verstand gesehen werden und auch Kunstgott Meeses Anweisungen an seine Gemeinde lassen sich nicht leicht in konkretes Verhalten ummünzen.
„Wir müssen uns gegenseitig den Respekt zollen, das wir Prols der Kunst geworden sind. Nichts anderes. Wir sind Proleten der Kunst geworden. Nur als Prol, als Prol-Proletus kannst du die Zukunft meistern und ihr alle da, ihr seid nichts als Proleten der Kunst, von ganzem Herzen.“
Ganz am Ende, wenn Nero, die Goldsucher, wenn Dr. No und Moby Dick, Caesar und Prometheus und eine blutige B-Movie-Story durch sind, die nackte Susanne Bredehöft mit Goldfarbe eingefärbt ist und Kerstin Graßmann sowohl den Katja Ebstein Schlager „Wunder gibt es immer wieder“ als auch den Marianne Rosenberg Song „Mr. Paul McCartney“ ins Mikrophon gekrächzt hat, sind viele im Publikum ob des Blödsinns doch ziemlich ermattet. Dennoch gibt es auch für diese Show begeisterten Applaus. Die Volksbühne hat nun noch ein freakiges Variété im Programm und schärft ihr Profil als führende Revue-Bühne in Berlin.