Jan-Christian-Gockel-inszeniert-Der-Auftrag-von-Heiner-Mueller-und-Psyche-17-von-Elemawusi-Agbedjidji

Zwei Stücke über Kolonialismus
Fahrstuhl ins Nirgendwo
von Eberhard Spreng

Seit vielen Jahren beschäftigt sich Jan-Christoph Gockel intensiv mit dem afrikanischen Kontinent. Das Verhältnis zu den ehemaligen Kolonien prägten Arbeiten wie „Kongo-Müller“, „Herz der Finsternis“, „Der Auftrag: Dantons Tod“. Am Deutschen Theater inszeniert er nun Heiner Müllers „Der Auftrag“ und stellt dem Text von 1979 die zeitgenössische Entgegnung des togoischen Autors Elemawusi Agbédjidji an die Seite: „Psyche 17“

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 29.10.2023 → Beitrag hören

Foto: Armin Smailovic

Die Inszenierung beginnt mit einem Bild vom Ende der Welt. Ein heruntergekommener Planwagen ist im Nirgendwo gestrandet. Bizarre Gestalten mit Totenmasken staksen über die Bühne. Das Scheinwerferlicht eines Jeeps verliert sich im Bühnennebel und ein Gitarrist haut eine stark verzerrte Version der französischen Nationalhymne in die Saiten. An Jimi Hendrix verzerrte Fassung der amerikanischen Nationalhymne von 1969 erinnert der Sound. Dann weitere Zitate: Der einst von Dennis Hopper gespielte Fotograf aus Francis Ford Coppolas „Apocalypse now“ tritt auf und singt „The End“ von den Doors.

Heiner Müllers Drama „Der Auftrag“ von 1979 nimmt eine retrospektive Haltung ein: Der Brief über das Scheitern einer Mission steht am Anfang des Stücks. Die Revolutionsemissäre Debuisson, Galloudec und Sasportas haben auf Jamaika keinen Sklavenaufstand initiieren können. Der Export der französischen Revolution scheiterte, das Zivilisationsprojekt ging nicht auf. Erstaunlich stücktreu erspielt sich das Ensemble die Konflikte zwischen dem revolutionsmüden Bauer Galloudec aus der Bretagne, dem Revisionisten und Sohn von Sklavenhaltern Debuisson und dem schwarzen Sasportas. Das Trio sitzt in einem langsam auf der Bühne kreisenden Jeep, wie Abenteurer einer Revolte, die auch heute spielen könnte. Videoeinblendungen erzählen vom aktuellen Scheitern Frankreichs in der Sahelzone, in Burkina Faso, dem Niger oder Mali.

Eine bildmächtige, in ihren zahllosen Anspielungen fast überbordende Regie macht Müllers Denkstück zu süffigem Theater. Um die Akteurinnen und Akteure herum geistern Fabelgestalten, so genannte Skullies mit leicht entstellter Körperkontur, langen Fingern und überlangen Köpfen: Es sind Masken des Todes, das anarchisches Treiben dieser Kobolde widerlegt jede lebendige Ordnung auf der Bühne. Bildmächtig ist auch Müllers „Engel der Verzweiflung“. Er tritt, verkörpert von Evamaria Salcher, mit großen blutbefleckten Flügeln ins Geschehen und spielt in diesem Gewand auch die spöttische erste Liebe des Revolutionsverräters Debuisson.

„Der kleine Victor hat Revolution gespielt. Jetzt kehrt er heim in den Schoß der Familie. Hast du dir weh getan kleiner Victor. Komm und zeig deine Wunden.“

Diesen Victor Debuisson verkörpert Julia Gräfner im grauen Anzug mit Hemd und Krawatte und mit dem sicheren Instinkt für seinen Vorteil in einer von Ausbeutung und Unterdrückung geprägten Welt. Die Aufführung geht so vor sich hin, bis Komi Mizrajm Togbonou als Sasportas aus dem Geschehen aussteigt und sich an die Vorderbühne stellt.

„Ich hätte es besser gefunden, wenn es in der Geschichte die Sklaven gewesen wären, die selbst revoltieren, um sich zu befreien. So war es in Wirklichkeit, bevor die Literatur der Wahrheit den Hals umgedreht hat.“

Diese Worte stammen aus der Feder von Elemawusi Agbédjidji aus Togo; Sein Stück „Psyche 17“ gab das Deutsche Theater bei dem afrikanischen Autor in Auftrag, um Müllers zynische, weiße Kolonialismus- und Imperialismuskritik mit einer aktuellen Position zu konfrontieren. Wie nach der Aufführung zu erfahren war, verhinderte Heiner Müllers Verlag allerdings eine weitergehende Collage der beiden Texte. So trennt eine Pause Müllers Auftrag vom Agbédjidjis Kommentar. Seine zentrale Frage lautet: Warum haben die zu befreienden Sklaven bei Heiner Müller selbst keine Stimme? Und: Warum kommen, wie dereinst die französischen Revolutionsemissäre, auch heute immer noch Menschen aus dem Norden und wollen in Afrika ihre Zivilisationsmodelle durchsetzen? Der Autor stützt sich auf das emblematische Traumbild von Heiner Müllers „Mann im Aufzug“. Da war ein Angestellter in einem Fahrstuhl unterwegs zum Chef und fand sich plötzlich in einer Parallelwelt wieder, auf einer staubigen Straße in Peru – eine frühe Metapher für die Brüche in der globalisierten Welt. Hier nun ist dies eine Frau im Aufzug auf der Suche nach einem Sehnsuchtsort, einem fernen Asterioden, der Psyche 17 heißt. Der sei unendlich reich an Eisen und Nickel und könne, einmal ausgebeutet, ungeahnten Reichtum bescheren. Einen Asteroiden mit dem Namen „Psyche 16“ gibt es tatsächlich. Seit einigen Tagen ist eine NASA-Raumsonde auf dem Weg dorthin. Den Autor schaudert es vor einer Fortsetzung von Ausbeutung im interplanetaren Maßstab. Die vorher so üppig bebilderte Bühne ist nun frei geräumt und ein Sternenhimmel senkt sich vom Bühnenboden herab. Kommen jetzt mit den Sternen neue Letztbegründungen, Vorschläge zur Überwindung von Heiner Müllers materialistischem Pessimismus? Eher nicht. Die zeitgenössische Entgegnung ist dem Sprachmonstrum nicht gewachsen. Die wunderschöne Aufführung feiert den DDR-Klassiker eher, dieses Mal allerdings als fast barocke Revue über eine grotesk scheiternde Mission.