Isabelle Huppert im Theater
Im Souterrain der Träume
von Eberhard Spreng
Ivo van Hove interessiert sich sehr für die amerikanische Dramatik der Moderne. Er inszenierte Stücke z.B. von Tony Kushner, Eugene O’Neill, Arthur Miller, Tennessee Williams. Am Théâtre de l’Odéon realisiert er nun Williams „Glasmenagerie“ mit prominenter Besetzung: Isabelle Huppert spielt Mutter Amanda.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 08.03.2020 → Beitrag hören
Ein „Memory Play“ nannte Tennessee Williams seinen ersten Theatererfolg „The Glas Menagerie“ und tatsächlich sind Mutter Amanda, ihre Tochter Laura und ihr renitenter Sohn Tom in jeweils eigenen Traumwelten gefangen, in Erinnerungen an bessere Zeiten oder glücklichere Lebensmomente. Bühnenbildner Jan Versweyveld hat ihnen ein ganz ungewöhnliches Heim gebaut: Eine Unzahl einander überlagernde Porträts sind da in den lehmfarbenen Wänden erkennbar, das Wimmelbild einer amerikanischen Gesellschaft, die aus den Untiefen der Geschichte unentwegt auf den Alltag von drei sich liebenden, sich streitenden Gegenwartsmenschen starrt. „Ah, monsieur fait sa diva ! Qui t’as permis de sortir de table. – Je vais fumer une cigarette. – Tu fumes trop.“
In rasantem Parlando huschen Isabelle Huppert, Nahuel Pérez Biscayart und Justine Bachelet durch die erste Szene des Stücks, so als gäbe es da spielerisch nichts zu erkunden. Die Huppert gibt die überlastete und von Sorgen um die unverheiratete und sozial völlig isolierte Tochter zermürbte Amanda geradezu hastig. Mit hektischen Gesten hackt sie beim Kochen auf Suppenhuhn und Suppengrün ein und prahlt derweil mit der Unzahl der Männer, die dereinst um ihre Hand anhielten. Das waren Zeiten im Wohlstand, in der alten Südstaatenaristokratie, Zeiten, die mit ihrem heutigen jämmerlichen Leben in der unteren Mittelschicht nichts zu tun haben, mit dem Sohn, der in der Schuhfabrik malocht und das Geld ranschafft, während sich die leicht körperbehinderte Tochter ins Spiel mit Glastierchen verliert. Dass Laura nun auch noch schon seit Wochen die Sekretärinnenschule schwänzt, erfährt die fassungslose Mutter eher par Zufall.
Im ganzen erste Teil der Inszenierung bleibt die Filmdiva im hohen Ton der Hysterie, eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Wenig erhellendes findet Ivo van Hove in der allerdings auch dramaturgisch wenig komplexen Familiensituation: Die ewigen Vorwürfe der Mutter an den Sohn, der jeden Abend in die Traumfabrik Kino flüchtet und die übertrieben fürsorgliche Nachsicht mit der Tochter, die sich immer wieder gerne in eine Ecke des einförmigen Lehmdekors kauert. Eine Küchennische ist darin eingelassen und ein Aufgang, durch den gelegentlich grelles Licht von außen in die finstere Erdwohnung fällt. Was dieses Außen sein könnte, ein Ausstieg aus der, wie wir heute sagen würden, Filterblase der eigenen Traumwelten, könnte man von Jim erfahren, den von Tom zum Abendessen eingeladenen Arbeitskollegen, in dem Mutter Amanda sich einen Heiratsanwärter für Tochter Laura erhofft. Jim ist ambitioniert, bildet sich weiter und ist an sozialem Aufstieg interessiert. Ivo van Hove hat ihn mit dem schwarzen Cyril Guei besetzt und damit natürlich ein amerikanisches Erzählmuster bedient: People of Colour in einer dekadenten weißen Gesellschaft als Hoffnung auf das neue Amerika.
In einem diversen Theater müsste diese Besetzung heute natürlich eine Selbstverständlichkeit sein. Aber in diesem Stück, aus dem einen noch der alte Atem der Südstaatensklaverei, des Rassismus und Amandas aristokratische Herkunft anweht, ist sie natürlich bedeutungsvoll. Dass Isabelle Hupperts Amanda allerdings hier mit der Möglichkeit eines schwarzen Schwiegersohns keinerlei Schwierigkeiten zu haben scheint, bringt die Inszenierung noch weiter weg von psychologischem Realismus und in ein Spiel mit etwas abstraktem, ort- und zeitlosem Setting.
Die Inszenierung ist eigentlich nur fokussiert auf die lange zärtliche Szene der Annäherung der Tochter an den allerdings schon vergebenen Mann. Hier überzeugt die junge Justine Bachelet mit einem berührenden Spiel: Wie sie aus der Isolierung ausbricht und im nun auf Normaltempo verlangsamten Spiel mit dem fremden Mann aufleuchtet, macht den hastigen Start der Aufführung vergessen.
„Lentement, les ailes déployées
Lentement, je le vis tournoyer“
Barbaras „L’Aigle Noir“, der schwarze Adler der Erinnerung, wird zum Leitmotiv einer Aufführung, die sich recht frei an musikalischen Zitaten bedient, von Soul über Astor Piazzollas „Libertango“ zu Charles Trenets „La Mer“. Auch all das sind ort- und zeitlose Reminiszenzen eines 20. Jahrhunderts, das in die Lehmbehausung dieser lebendig Begrabenen hineinweht wie der letzte Nachhall einer verlorenen Kultur. Aber all das sieht so aus, als hätte der Meisterregisseur eine kohärente Haltung zu Tennessee Williams frühem Stück letztlich nicht gefunden.