Herbert-Fritsch-inszeniert-Molière-an-der-Schaubühne

Amphitryon in Berlin
Chargieren als Meisterwerk
von Eberhard Spreng

Gott Jupiter verschafft sich in der Gestalt eines Sterblichen eine Liebesnacht mit dessen Gattin. Das führt zu diversen Komplikationen. Molières „Amphitryon“ inszeniert an der Schaubühne Herbert Fritsch; der vom Wiener Burgtheater nach Berlin gewechselte Joachim Meyerhoff spielt den Sosias.

Eine Bühne wie im Papiertheater vergangener Zeiten
Foto: Thomas Aurin

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 14.10.2019 → Beitrag hören

Ein Solo für den Neuzugang im Ensemble der Schaubühne: Joachim Meyerhoff steht im lachsfarbenen Plüschkostüm auf der Vorderbühne und probt seinen Auftritt bei Alkmene. Wie er da im rasanten Minenspiel zwischen ängstlichem Verzagen und aufwallender Selbstverliebtheit wechselt, wie er mit seiner Stimme ein klangliches Spektrum zwischen pathetischem Brustton und verzagter Fistelstimme durchläuft, ist eine komödiantische Meisterleistung. „Seh’ ich da nicht den Palast vor meiner Nase aus dem Dunkeln ragen? Vom Herzen fällt die Last. Allein, was soll ich meiner Herrin sagen?“

Allein unter Ichlingen

Meyerhoff spielt einen Sosias, dem in einer furiosen Aufführung die paradoxe Rolle zukommt, in einer Horde von „Ichlingen“ einen Menschen zu spielen, der einen Identitätsverlust erleidet. Merkur ist für einen Auftrag seines Chefs Jupiter ins Gewand des Sosias geschlüpft und hat diesen unter Androhung von Prügeln aus dem eigenen Leben vertrieben. Aber gerade, weil er jetzt aus dem Leben geworfen ist, bekommt er menschliche Züge. Er wird so zum leeren Zentrum in einem theatralen Wirbel von Figuren, deren Posen, Mimik und Gesten so unzerstörbar sind wie die von Pappkameraden. Früher einmal spielten Kinder mit Papiertheatern und bewegten ausgeschnittene Figuren in bunten Kostümen zwischen den Kulissen hin und her. Das dürfte das Vorbild gewesen sein für Herbert Fritschs Bühne mit ihren in die Tiefe gestaffelten farbenfrohen Gassen. Aus gewaltigen Papierbahnen sind sie angefertigt. Und seine immerfort hinein- und heraustänzelnde Figürchen sorgen für eine ungemein kunstvoll getimete Choreografie. Auf der Bühne wird hemmungslos scharwenzelt und aufgeplustert, gegroßkotzt und gekleinmault, gehüpft und getänzelt, gezuckt und gespringteufelt, ein Feuerwerk dessen, was der Regisseur vorab ironisch bad acting nannte. Axel Wandtke spielt einen herrlich barocken, vom eigenen Ennui berauschten Jupiter, eine Karikatur des Sonnenkönigs. Annika Meier gibt die vom Gott verführte Alkmene als hysterisch überforderte Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Einen selbstverliebten, tuntigen Amphitryon spielt Florian Anderer, der seinen Diener Sosias zu barocken Tanzschritten darüber befragt, was ihm in der langen Nacht vor seiner Ankunft zustieß.
–    „Man schlug dich?
–    Freilich
–    Wer?
–    Nun ich?
–    Du, dich?
–    Ja ich mich, aber nicht das Ich das ihr hier vor euch seht, nein dieses andere Ich, und dieses andere Ich, das prügelt fürchterlich.
–    Du hör jetzt auf, du machst mich ganz verdreht.“

Zwei Hintergangene im Streitgespräch: Sosias und Amphitryon
Joachim Meyerhoff und Florian Anderer. (Foto: Thomas Aurin)

Ingo Günther am Flügel und Taiko Saito am Vibraphon begleiten mit zwischen Moderne und Klassik changierendem Puls die Akteure. Die sind gefangen in einem Spiel um Dopplung, Verwechslung und dem daraus entstehenden Szenenreigen um Mistrauen, rasender Eifersucht, Vorwurf, Wahnsinn und Zerwürfnis. Amphitryon und seine Geschichte der ehelichen Untreue ist gewissermaßen der Urstoff aller Komödien. Molière treibt den antiken Stoff anders als Kleist nicht bis in tragische Dimensionen, sondern spielt ihn als zwei einander komplementär ergänzenden Paargeschichten durch: Jupiter verbringt in der Gestalt des Feldherrn Amphitryon eine Liebesnacht mit dessen Frau Alkmene und Merkur verweigert in Gestalt des Sosias dessen Frau mit schnöden Sprüchen die ehelichen Pflichten. Solchermaßen von den Göttern gefoppt, geraten die Sterblichen in musicaleske Wutausbrüche. „Rache! Rache! Diese Wut! Diese Wut!“

Gefühle im Gelenk

Geradezu idealtypisch für Herbert Fritschs biomechanisches Theater steht Carol Schuler in der Rolle der Sosias-Gattin Cleanthis. Puppenhafte Bewegungsmuster beherrscht sie vorbildlich. Sie und alle anderen Akteure tragen ihre Gefühle nicht im Herzen, sondern in den Körpergelenken. Komplexe Gefühlswelten schnurren auf zwei, drei eingefrorene Gesichtsausdrücke zusammen; der Körperraum scheint sich ins Zweidimensionale zu verflachen. All das ist große Schauspielkunst, Chargieren als Meisterwerk, virtuos gearbeitet und unterhält bis in den durchchoreographierten Schlussapplaus. Aber das ist es dann auch schon, denn diese technisch brillante Molière-Interpretation bleibt sehr nah am Text und findet kaum ins Heute. Herbert Fritsch kommt hier nicht, wie in früheren Arbeiten, ins Spannungsfeld von Slapstick und Quantenmechanik, in eine Form theatraler Bewegungsabstraktion. Auch über die heutigen, zum Identitätsdiebstahl fähigen Mächte sagt dieser Abend nichts. Nichts also über einen Menschen, den nun nicht mehr die Götter vorübergehend, sondern Algorithmen dauerhaft aus seinem Leben vertreiben.