Stadt-Trilogie am Gorki Theater
Die Legende von Adem und Moria
von Eberhard Spreng
Im August 2020 hat Hakan Savaş Mican am Gorki Theater „Berlin Oranienplatz“ auf die Bühne gebracht. Der Autor und Regisseur startete damit seine „Stadt-Trilogie“, die er nun, ebenfalls am Gorki-Theater, mit „Berlin Kleistpark“ fortsetzt.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 12.12.2021 → Beitrag hören
Adem und Moria sind Nachbarn und ein Paar. Nun wollen sie zusammenziehen und eine Wohnung kaufen. Der Notartermin ist schon vereinbart, aber bei der letzte Besichtigung in der künftigen Wohnung offenbaren sich bislang unüberwundene Konflikte. Der junge Mann mit türkischen Wurzeln und die junge international erfolgreiche Israelin haben gemeinsame Pläne, aber divergierende kulturelle Hintergründe.
„Weißt du, was das Schlimmste ist? Der Gestank am Eingang. Ich möchte nicht jeden Tag so viele Alkoholiker sehen. Ich möchte nicht, dass mein Kind seine Kindheit vor einer Kneipe verbringt, die ‚Gemütlichkeit bei Gabi’ heißt.“
„Gemütlichkeit bei Gabi“ – die Kneipe ist ein Überrest einer Berliner Kiezkultur, die unter dem Einfluss der Gentrifizierung allmählich verschwindet und abgelöst wird von Coffee-Shops und Espressobars. Die alte Berliner Kiezkultur ist aber auch in Adems Seele eingegangen, in seine Strategien der Anpassung an die deutsche Gesellschaft. Aber da ist auch Adems Mutter Meryem, die schwer an Krebs erkrankt ist , eine letzte Reise nach Berlin unternehmen will, für den Versuch einer Aussöhnung mit ihrem Sohn. Denn sie ahnt, dass die seelischen Verwerfungen, die ihm seine glückliche Zukunft verstellen, von ihr mitverschuldet sind.
Ein Mann also zwischen zwei Frauen, ein gebundener Sohn mit Hassliebe zu seiner türkischen Mutter und in Aggressionen umschlagende Minderwertigkeitsgefühle gegenüber seiner Freundin, der selbstbewussten jüdischen Akademikerin. Deren Vater sieht in Adems islamischem Hintergrund kein Problem, sein Thema ist ein anderes.
„Dein Adem scheint ein schlauer junger Mann zu sein, der um jeden Preis die Arbeitskittel seiner Eltern hinter sich lassen will. Aber vergiss niemals, er wird immer ein Arbeiterkind bleiben und sich nicht scheuen um herauszukommen, auch Opfer zu bringen. Als der Sohn eines Fuhrmanns aus dem Schtetl, weiß ich wovon ich rede. Daher mein Rat: Sei vorsichtig.“
Rassismus, Klassismus, wie eine trendige Terminologie die Klassenfrage neuerdings bezeichnet: Beides verbindet Autor und Regisseur Hakan Savaş Mican im zweiten Teil seiner Stadt-Trilogie. Er verarbeitet Autobiografisches, kulturelle Zerrissenheiten zwischen der Türkei und Berlin, wo er als Sohn türkischer Einwanderer geborenen wurde, bevor er bei seiner Großmutter in der Türkei aufwuchs, um dann als junger Mann für das Studium wieder nach Berlin zurückzukehren. In Videoprojektionen ziehen Berliner Stadtlandschaften über die gesamte Bühne vor den Augen des Publikums vorbei. Im Video erleben wir auch kurze Ausschnitte aus Filmen des Regisseurs sowie Szenen zwischen Moria und ihrer Freundin Lea.
„Du musst aufhören mit den Kompromissen in deinem Leben. Wirklich. Willst du ernsthaft das größte Angebot deiner Karriere ausschlagen für eine wackelige Beziehung? Eine internationale Karriere in New York?“
Im Video werden Gründe für das Verhalten von Protagonistin und Protagonist spürbar; auf der kargen Vorderbühne finden ihre Dialoge. statt. In ziemlich robustem Spiel stoßen Taner Şahintürk als Adem und Sesede Terziyan als Moria zu Beziehungskämpfen aufeinander. Für psychologische Nuancen und seelische Schattierungen ist vor allem in der Figur der Moria kein Platz. Die Stärke der Aufführung liegt sicher nicht in detaillierter Seelenerkundung sondern in ihrer medialen Verknüpfung bis hin zu Chanson und Varieté, für deren Musik ein Band in der Bühnenmitte sorgt.
Mican inszeniert eine Großstadtballade mit starken melancholischen Einfärbungen und schafft in vielen Momenten das Gefühl einer existentiellen Unbehaustheit, einer endemischen Heimatlosigkeit, die man nirgends so spüren kann wie in der deutschen Hauptstadt. Nach kurzen und kurzweiligen eineinhalb Stunden endet die Aufführung mit einer Rückblende, der ersten erotisch aufgeladenen Begegnung einer aufgedrehten Moria und einem todmüden Adem um fünf Uhr morgens. Diese dramaturgische Volte, diese Rückkehr zum Anfang ihrer Affäre macht Sinn. Es gibt für diese Art transkultureller Liebesgeschichten alle Gründe fürs Scheitern im realen Leben und keinen Grund sie deswegen zu beenden.