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Falk Richter in Straßburg
Das Schweigen gebrochen
von Eberhard Spreng

In den letzten Jahren hat der Autor und Regisseur Falk Richter immer wieder am Straßburger Nationaltheater gearbeitet, dem er als „Artiste associé“ verbunden ist. Er inszenierte dort „I am Europe“ und „Je suis Fassbinder“. Zusammen mit dem Straßburger Intendanten Stanislas Nordey wagt er sich nun an eine sehr persönliche Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte. Die Uraufführung von „The silence“ ist ein Glanzpunkt autobiografischen Theaters.

Deutschlandfunk, Kultur, 02.10.2022 → Beitrag hören

Kleine, weiß gestrichene Mäuerchen markieren die Wände eines ehemaligen Eigenheimes. Sie sehen ein wenig aus wie Grundmauern nach archäologischen Ausgrabungen. Aus diesen Resten der Vergangenheit ragt Schauspieler und Intendant Stanislas Nordey wie übergroß heraus, wenn er sich zur Aufgabe macht, eine Familiengeschichte zu ergründen, als Stellvertreter des Autors, als Vermittler fürs Publikum. Das wird hier zum ersten Mal, nach all den immer schon autobiografisch eingefärbten Theaterabenden des Falk Richter, in den Kern der Verletzungen mitgenommen, die den deutschen Autor und Regisseur umtreiben.

„In meiner Familie hat man nie darüber gesprochen, wie viele Personen mein Vater im zweiten Weltkrieg getötet hat, nie darüber, dass meine Schwester unehelich zur Welt kam, nicht darüber, dass er meine Mutter und meine Schwester in einer Wohnung außerhalb der Stadt versteckte.“

Falk Richter unternimmt eine Forschungsreise in gut gehütete Familiengeheimnisse, Tabuzonen und Momente der Verdrängung. Mit dem schon verstorbenen Vater kann er nicht mehr sprechen und versucht so, im Gespräch mit der Mutter an die Glutkerne des familiären Schweigens heranzukommen. Dokumentarfilmausschnitte zeigen den Autor und Regisseur im Gespräch mit seiner Mutter über seine Kindheit und die seiner älteren Schwester.

– „Ihr wart fünfeinhalb Jahre auseinander und das ist natürlich
– Du kannst dir das doch nicht einfach schön reden.
– Ich rede mir das doch nicht schön, Falk, ich hab doch mit euch zusammen gelebt …
– … darüber hinaus gibt es dieses Denken: Es gab ja keine Alternative, das war gut. Da gab es keine Probleme, das führt so dazu dass auch dazu dass wir Kinder nie etwas fühlen durften.“

Falk Richter will den familiären Fühllosigkeiten der 1970er Jahre auf den Grund gehen, dem systemischen Mangel an Empathie. Er wurzelt in der Brutalität des Krieges, in den Entmenschlichungen, die im Deutschland der Nachkriegszeit nicht aufgearbeitet wurden. Im Wechsel von filmischem Gesprächsdokument und den Reflexionen des Autors werden in Schlüsselmomenten seelische Verletzungen spürbar, erklären sich die falschen Erwartungen der Kriegsgeneration an ihre Nachkriegskinder. Dazu gehört, dass von denen eine immer währende Lebensfreude verlangt wird, dass diese Kinder Lebenssinn spenden und für die Eltern da sein müssen.

„Was ich erinnere, ist, dass es Momente gab, wo ich einen eigenen Willen hatte und ‚nein’ gesagt habe oder zu laut oder zu wild war, dann wurde ich einfach so Wock! In den Schrank eingesperrt. Das war natürlich total traumatisch“.

Falk Richter hat in Strassburg, wenige Kilometer hinter der deutschen Grenze den richtigen Ort für diese bislang persönlichste Arbeit gefunden. In dem Schauspieler und Regisseur Stanislas Nordey hat er einen kongenialen Partner. Denn der Straßburger Intendant spricht seine ins Französische übertragenen Texte eindringlich und doch auch in Distanz, ohne also je mit der Figur des Autors völlig zu verschmelzen.

Die Abrechnung mit dem Vater wie bei Édouard Louis

Stanislas Nordey hatte vor Jahren bereits Édouard Louis‘ Text „Qui a tué mon père“, diese ganz andere Beschäftigung des homosexuellen Autors mit der homophoben Vaterfigur, initiiert und auch in dieser allein auf der Bühne gestanden. Wo Édouard Louis die französische Soziologie des Schwulenhasses analysiert, steuert Falk Richter dessen politische und nationalkulturelle Wurzeln an. Auch er erlebt den Hass seiner Familienmitglieder, als die seine Homosexualität entdecken, auch er das Unverständnis und die Brutalität seines Vaters. Jahre später wird dieser Vater ihm Beistand und Trost verweigern, als Falk Richter Opfer einer brutalen homophoben Gewalttat wird. Im Krieg sei solche Gewalt an der Tagesordnung gewesen, sagt der Vater. Gewalt als Strukturmerkmal für menschliches Verhalten in einer heteronormativen Welt, das erweitern Falk Richter und sein Bühnenstellvertreter Stanislas Nordey dann im zweiten Teil etwas sprunghaft auch auf die Brutalität der Massentierhaltung und eine letztlich alles Leben vernichtende „Straight World Order“. Stanislas Nordey hockt am Ende weltverloren eingehüllt in Fellfetzen und sinniert über den Grönlandhai, der bis zu fünfhundert Jahre alt werden könne. Er ist ein Symbol für die jede Chronik der Gewalt überdauernde Kreatur. Es ist auch der Traum des Autors, der sich aus den Zwangslagen des Menschseins in eine andere, autonome Welt- und Zeitlichkeit hinein imaginiert. „The Silence“ bricht das Schweigen und beendet die Verdrängung, und legt in diesem sehr eindringlichen Theaterabend die Quellen der Wut offen, die den Autor und Regisseur Falk Richter umtreiben.