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“Queen Lear“ am Gorki-Theater
Ende Gelände
von Eberhard Spreng

Vor zwei Jahren gelang Christian Weise mit seinem „Hamlet“ am Gorki-Theater ein großer Erfolg. Die junge Svenja Liesau war da in der Titelrolle eine große Entdeckung. Sie spielt auch wieder in der neuen Arbeit des Regisseurs am Gorki-Theater. Die heißt „Queen Lear“ mit Corinna Harfouch in der Hauptrolle.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 21.02.2022 → Beitrag hören

Foto: Ute Langkafel

Starship Lear, ein Raumschiff, ist der Schauplatz. Auf bemalter Pappe sind Steuerknöpfe zu sehen, bunte Kontrolllampen leuchten fröhlich, ein dunkler weiter Umhang kleidet den Master of the Universe: Queen Lear also als Krieg der Sterne mit Laserschwertkämpfen und vielen weiteren Anspielungen. In diesem ästhetischen Paralleluniversum also huldigen die crossgender besetzten, nunmehr zu Söhnen gewordenen, Goneril und Regan brav der Mutter; nur Cordelia will beim Aufteilen des spacigen Reiches keine schmierigen Heucheleien von sich geben. Vor der Bugspitze des Raumschiffes liegt ein bunt bemalter Planet. Zwei Drittel seiner Fläche sind da schon mit roten Linien markiert und aufgeteilt wie Kuchenstücke. Christian Weise inszeniert eine liebevoll süffige Weltraum-Parodie, in der Prince Goneril in silbrig glänzender Daunenjacke und gelbem Plastikhündchen unterm Arm auftritt. Tim Freudensprung spielt ihn als ein großes Kind, das von seinen Spielsachen nicht loskommt. Und zugleich machtbesessen ist wie der Bruder.

– „Ganz ehrlich. Wer unbefangen Deine Reden hört, wird sagen, du bist alt und – ja, ich muss es sagen senil.
– Bitte?
– Wozu brauchst du in deinen granny days denn überhaupt noch irgendwelche Freunde?
– Warum bist du mit unseren Mitbewohnern nicht zufrieden?
– Wenn´s Anlass zu Beschwerden gibt – wir händeln das. In meinem Haus hab ich nur Platz für dich allein!“

Das Autorenkollektiv Soeren Voima hat den Shakespeare-Text auch mit heutigem Gender-Slang überschrieben. Opfer sind die Alten: Neben Queen Lear auch der ebenfalls crossgender besetzte Graf von Gloucester. Catherine Stoyan ist hier das Opfer einer Intrige von Proud Boy Edmund: Aram Tafreshian spielt den Abenteurer als einen, der das gemütlich-naive Dahindösen im bunten Weltraumland durch eine neue Herrschaft ersetzen will.

„Dieser Umstand wird Titel und Vermögen meiner Mutter umstandslos auf das Konto meiner Person transferieren. Geschichte, nimm deinen Lauf: das Schwache stürzt, die Starken steigen auf!

Der erste Teil dieses unterhaltsamen, mit opernhafter Effektfülle ausgefütterten Abends ist ein Filmvergnügen auf großer Leinwand. Das eigentliche Geschehen findet verborgen dahinter statt und wird von zwei Kameras kunstvoll eingefangen. Ein neoexpressionistisches Spiel mit große Gesichtern, großem Ausdruck und greller Ironie. Aber so darf es nicht immerfort weitergehen in dieser bösen Tragödie des Selbst- und Weltverlustes. Also raus aus dem Weltraum-Kinderzimmer, hin zur Lebenswelt der Loser und Opfer und hinein in eine andere Ästhetik: Auf nunmehr frei geräumter Bühne wird Svenja Liesau von der Leine gelassen und darf und muss den Rest des Abends wuppen. Auch sie, crossgender besetzt, spielt den verstoßenen Gloucestersohn Edgar, der nun, getarnt als Bettler Tom, durch die Leere zieht und sich mit Queen Lear unter anderem über Hieronymus Bosch unterhält.

„Niemand wees, ob wat er jemalt hat, ob dat nich wirklich so is. Viele sagen nein, dat is nich so, wat is wenn wir sterben und es ist denn doch so? Nummer eins. Hast du wat zum Schreiben, hast du E-mail? Det is jetzt eine Liste an Informationen die dir im Leben helfen.“

Das Weltenende ist Metatheater

In drei Bilder spaltet Regisseur Weise das bittere Weltenende auf. Erst die leere Bühne, dann zieht die Gruppe der Loser zusammen mit ihren Kamerafrauen durch den Pförtnereingang zur hinter dem Gorki-Theater gelegenen Straßenbahnhaltestelle. Hier illustriert sie den Obdachlosenrealismus für einige Minuten in kalter Berliner Winterluft. Dann kehrt Svenja Liesau mit dem Strassenbahnhaltestellenschild stolz ins Theater zurück und pflanzt es als Objekt aus der realen Welt auf die Bühne. „Realismus ist die brutalste Form der Illusion“ heißt es in der Aufführung. Und natürlich soll es eigentlich den ganzen Abend immer auch um ein Metatheater gehen, das sich über das Wie seiner Bildproduktionen Gedanken macht. Aber beim Spiel bleiben Fragen: Wie sähe die mehrfach verschobene Aufführung aus, wenn der Probenprozess von Corona nicht dauernd zerschossen worden wäre? Wobei der für einen Kollegen kurzfristig eingesprungene Fabian Hagen als Kent in kürzester Zeit eine wunderbar queere Figur geschaffen hat. Warum auch bleibt Corinna Harfouch im illusionistischen ersten Teil ebenso ungreifbar versteinert wie im existentialistischen Zweiten? Hier trotzt ein Theater der Pandemie, aber das Ergebnis wirkt noch unfertig.