Christian-Weise-inszeniert-Hamlet-am-Gorki-Theater

Hamlet am Gorki-Theater
Die Geister des Karl Marx
von Eberhard Spreng

Im Gorki-Container neben dem sanierungsbedingt nur eingeschränkt bespielbaren Gorki-Theater hat Christian Weise Shakespeares „Hamlet“ eingerichtet: Mit einer weiblichen Besetzung der legendären Hauptrolle.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 03.02.2020 → Beitrag hören

Party mit Totenkopf - Svenja Liesau spielt Hamlet
Foto: Ute Langkafel

Ein Making-of, wieder einmal: Ein Hamletfilm soll gedreht werden. Mit dieser Rahmenhandlung stattet Regisseur Christian Weise seine Shakespeareinszenierung aus, die der Zuschauer vor allem als Filmprojektion auf der hoch aufragenden Wand eines Bühnenwürfels erlebt. Da sehen wir, oft in Großaufnahme, das maliziöse Lächeln der Svenja Liesau, die diesen Hamlet spielt, aber auch als Moderatorin aus der Rolle fällt, wenn sie sich für die direkte Ansprache ans Publikum vor die große Bühnenbildbox stellt, in deren Inneren der Film entsteht. Ein Comedy-Solo über die erste Berührung der jungen Akteurin mit dem gewaltigen Stück.
„Det is det längste Stück von Shakespeare und 50 Prozent davon spricht Hamlet. Dann hab ick jedacht : Ach du Scheiße, wo hab ick mir jetzt hier rinjeritten. Denn hab ick det jelesen. Er hat ja einen inneren Monolog nach dem anderen. Ick denke: Mensch, jeh doch den Leuten nich so auf den Sack!“

Dass das Stück Hamlet nur noch gegeben werden kann, wenn es in einem lustigen Spiel von Handlung und Rahmenhandlung, Text und Subtext, Original und Überschreibung in verschiedene Wahrnehmungsschichten zerlegt wird, ist am Gorki selbstverständlich. Und auch, dass man sich gar nicht sicher ist, ob der großer Klassiker in einer von Zerstreuung zersetzten Gegenwartskultur überhaupt noch verstanden wird. Genau das aber wird mit einer großen handwerklichen Liebe zum Detail und trotz selbstironischer Distanz versucht.
„Hier ist Fenchel für dich, und Akalai. Hier ist welches für mich. Nennen wir es Gnadenkräuter.“

Ophelia ist in der Darstellung von Kenda Hmeidan eher in ihre eigene Liebe verliebt als in Hamlet. Den narzisstischen Jungregisseur aus New York, der den Hamletfilm realisieren soll, spielt Oscar Olivo. Catherine Stoyan gibt Gertrud als eine alle Entgleisungen nervös weglächelnde Salondame, die entweder im Handtäschchen fingert oder die Champagnerflasche an den Hals setzt. Diese ist, wie auch alle anderen Requisiten, aus Pappe. Mit größter Kunstfertigkeit wird hier in verschiedenen kleinen, allesamt gemalten Räumen die Comicversion der Tragödie um den Dänenprinzen erzählt, mit Spießerinterieur des neuen Königspaars inklusive des Wohnzimmergemäldes mit Totenköpfen und Spielkarten. Ein anderes zeigt eine Landschaft mit abgestorbener Vegetation und der Berlin-Skyline im Hintergrund. Von Julia Oschatz stammt die kongeniale Kulisse für eine Aufführung, die irgendwo zwischen expressionistischem Film und Teenyparty changiert. Aber die optische Spielerei mit dem Stück führt doch immer wieder auch in die Kernmotive der legendären Tragödie.
„Sterben – schlafen,
Mehr ist es nicht; und sagen, dass im Schlaf
Das Herzweh aufhört und die tausend Schläge,
Die unser Fleisch geerbt hat: Welch ein Ziel,
Zutiefst begehrenswert.“

Hamlet mit Geist Marx.
Hamlet mit Marx als Geist. Foto: Ute Langkafel

In einer Flut der sehr unterhaltenden Ideen und Motive ist dann doch ein zentrales unerschlossen geblieben: Angekündigt war eigentlich die Auseinandersetzung mit dem gespaltenen Deutschland. Übrig geblieben ist davon lediglich eine Karl-Marx-Karikatur, die als der Geist von Hamlets Vater über die Bühne stolpert: Ein Rest der gemordeten DDR im neuen bundesrepublikanischen Deutschland. Gespielt wird die Figur von Ruth Reinecke, die hier ihre letzte Premiere am Gorki-Theater bestreitet, dessen Ensemble sie seit 1979 angehört.

Dass da was faul ist im Staate Germany, zeigt Regisseur Weise in seiner ideenfrohen Stückkarikatur. Dass dies vor allem der Verlust einer verbindlichen Wirklichkeitswahrnehmung ist, umkreist er mit dem Spiel um Fake, Illusion, Theater und Film. Mit großem Ernst ist die berühmte Fechtszene geprobt worden, als Beweis des Glaubens in das traditionelle Theaterhandwerk. Dreimal wird sie gespielt auf der Suche nach einer verlorenen Wahrhaftigkeit. Dreimal auch spielt Svenja Liesau Hamlets Sterbemonolog und unterbricht sich selbst mit dem Wort „Cut“. Und jedes Mal werden weitere Filmcrewmitglieder vom Set geschickt. Bis die Protagonistin endlich mit dem Publikum allein ist. Aber auch das nützt nichts. Der gesuchte Ausdruck, mit dem man jetzt noch einmal zu Shakespeare aufschließen könnte, ist nicht mehr zu bekommen. Ein lustiger, ein manchmal brillanter und oft schillernder Abend um Spiel und Illusion, Fake und Wirklichkeit geht melancholisch zu Ende: In einer falschen Welt gibt es keinen wahren Ausdruck.