Brechtstück am Berliner Ensemble
Fleisch ist Fleisch
von Eberhard Spreng
Dušan David Pařízek inszeniert seit 2002 an deutschen Theatern. Seine Uraufführung der „lächerlichen Finsternis“ von Wolfram Lotz wurde von „Theater Heute“ als Inszenierung des Jahres ausgezeichnet. Am Berliner Ensemble zeigt er nun Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“. Mit Stefanie Reinsperger als einer der beiden Protagonistinnen.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 28.02.2025 → Beitrag hören

Verkörperung. Wie wichtig diese zentrale Kategorie für die Theaterarbeit ist, springt mit der Besetzung am Berliner Ensemble unmittelbar ins Auge: Da ist zum einen die Körperfülle und das Powerplay der Schlachthofbesitzerin Mauler und die abgehärmte, schmale Johanna, die zunächst nur zaghaft die Bühne betritt, um schüchtern Mitgefühl und Solidarität mit den Ausgebeuteten anzumahnen. Dušan David Pařízek hat wie schon in vorangegangenen Inszenierungen emblematischer Männerfiguren auch hier wieder transgender besetzt: Stephanie Reinsperger spielt den rücksichtslos spekulierenden Kapitalisten Mauler geradezu barock körperbetont. Mauler ist Schlachthofbesitzer und erlebt eine Sinnkrise, nachdem er einem moribunden Ochsen zu tief ins Auge geschaut und dort das eigene Sterben erblickt hat. Nun will er raus aus dem Geschäft, aber erst, nachdem er den ärgsten Konkurrenten ruiniert hat. Mit Kumpel Cridle bespricht er den Deal.
– Lennox darf keine Büchse mehr los werden.
– Du senkst die Löhne, senkst die Preise und unterbietest die Lennox’sche Büchse Fleisch,
– Seine Anteile stehen heut schon schlecht –
– …so stehen sie morgen noch schlechter.
– Und du? Streust das Gerücht, dass er schwankt –
– – …dann werden Alle nervös und ziehen ihr Geld aus ihm raus.“
Die Absprache der Kapitalisten führt in Brechts ausführlichem und etwas langwierigen Krisenstück unter anderem zu Preiskämpfen, Entlassungen und Lohnkürzungen, zu sozialen Folgen, die Johanna mit ihrer Heilsarmee abmildern will. Also klassisch sozialdemokratisches Denken, hätte sich Johanna nicht diese kuriose Mission in den Kopf gesetzt, auch den knallharten kapitalistischen Widersacher zu einem besseren Menschen machen zu wollen. Kathleen Morgeneyer bläst zum Angriff auf das Böse in der Welt.
„Und warum ist diese Schlechtigkeit in der Welt? Ja, wie soll’s denn anders sein! Betrachten Sie doch einmal den Dienst am Nächsten einfach als Dienst am Kunden! Service! Was heißt denn Service anderes als Nächstenliebe?“
Pařízek hat fast die gesamte Brechtsche Figurenfolklore, also die Viehzüchter, Makler, Spekulanten, Soldaten, Passanten und all die anderen weggelassen. Bei ihm ist die Weltwirtschaftkrise, dem dieses Stück seine Entstehung verdankte, nur durch einige alte Schwarzweißaufnahmen vertreten, die in einen geschlossenen Bühnenraum aus Holzpaneelen projiziert werden. Das nur fünfköpfige Ensemble hantiert auch immer wieder mit zwei Overheadprojektoren, mit denen Zwischentitel auf die Wände geworfen werden. So entstehen auch die übergroßen Schatten der Spielenden, die hier wie übermächtige Kräfte im Hintergrund wirken: Schemen und Gespenster, die auf einer zweiten Spielebene ihre ganz eigenen Geschichten erzählen. So schön, so gut.

Dennoch trägt an diesem Abend im Kampf Dramaturgie versus Performanz letztere einen haushohen Sieg davon. Denn vor allem Stefanie Reinsperger feiert in ihrem im Wortsinne unverschämtem Spiel mit dem eigenen Körper den narzisstisch hemmungslosen Ichmenschen als nicht zu bremsendes emotionales Kraftzentrum. Zum Beispiel wenn sie sich, nur spärlich bekleidet, auf den nackten Bauch klatscht im Rhythmus des Partyhits „Live is life“ der österreichischen Band Opus aus den 1980er Jahren und dessen Text karikiert.
“Fleisch is life … Fleisch is life…”
An anderer Stelle schreitet sie in opulenter roter Robe mit unendlicher Schleppe auf die Bühne und hüllt die mittlerweile aus ihrer Heilsarmee entlassene Johanna in die Stofffülle ihres Gewands. Die Bedeutung ist klar: Der Kapitalismus ist umfassend und hat in seinen Falten auch Platz für die weltanschaulich Gescheiterten, für die irren Idealisten und verstrahlten Gottessucher.

In der kurzen Pause gab es dann auch noch weltanschauliches Bonusmaterial aus der Feder der russisch-amerikanischen Libertarismuspredigerin Ayn Rand. Und deren krude Vorstellung einer rein individualistischen Philosophie ist anschlussfähig an die Ideologien der Make America great again-Anhänger. Rands „Atlas Shrugged “ – zu deutsch „Atlas wirft die Welt ab“ preist Egoismus als Tugend. Das ist eigentlich die einzige Brücke von Brechts Chicagoer Schlachthausstory in eine neue Trumpsche Gegenwart, in der, nein: nicht Deals! sondern Erpressung zum vorherrschenden Verhalten im Umgang zwischen den Menschen wird . In einer solchen Welt etabliert Reinsperger einen schillernd ambivalenten Mythos: Sie darf, was sie kann und das ist fast unbegrenzt. Und auf der Bühne des Berliner Ensembles triumphiert sie, weil sie die Kapitalistin und die Kälte des Kalküls mit einer überbordenden, verführerischen Emotionalität aufheizt. Eigentlich sahen wir „Die Heilige Stefanie der Schlachthöfe“, eine Performance für radikale Egoisten.