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Audiowalk zum Berliner Ensemble
Der Brecht in dir 
von Eberhard Spreng

Bertolt Brecht und die Frauen: Vier von ihnen sind, ebenso wie der Dramatiker, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beerdigt. Dort beginnt ein Audiowalk durch die Stadt, eine Todesfuge, die am Berliner Ensemble endet.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 02.05.2021 → Beitrag hören

Foto: Moritz Haase

Der Brecht-Spaziergang beginnt mit dem Ende, dem Ziel, dem Tod. Und er beginnt an einem hellen Grabstein in der südwestlichen Ecke des Dorotheenstädtischen Friedhofes, wo die einstige Brechtgeliebte und Mitarbeiterin, die dänische Schauspielerin, Regisseurin und Schriftstellerin Ruth Berlau begraben liegt.

– „Ganz hinten in der Ecke leuchtet weiß ein Grabstein. Frau mit Kind begraben, traurig, schreibt er. Ruth Berlau, Michel, plötzlich eine Stimme
– Bleib doch hier, Mensch!“

Das Grab der 1974 verstorbenen Ruth Berlau hätte Brecht natürlich nicht besuchen können. Aber die suggestiv-meditative Stimme von Tilo Nest legt dem Betrachter die Identifikation mit dem Erzähler nahe, so als wäre Bertolt Brecht noch einmal zurückgekehrt in die Gegenwart und spräche mitten im Kopf des Zuhörers. Und während dazu ein kleiner Spaziergang durch den Friedhof und durch Berlins Mitte beginnt, lässt diese ständige Überblendung vergangener und gegenwärtigen Stadtwahrnehmungen den Betrachter nicht mehr los. Brechts Wohnung lag unmittelbar am Friedhof, der Erzähler lenkt den Blick auf ein Fenster, aus dem Helene Weigel den Flaneur an eine wichtige Aufgabe erinnert.

„Ich glaubte dich längst in dem Theater und du lungerst auf dem Friedhof rum? Gleich ist Premiere, das ist nicht das Ende, sondern ist noch Teil von deiner Arbeit. Geh in das Theater, troll dich! Arbeit wartet!“

Der untote Brecht, das Gespenst des Theatermannes und mit ihm der Betrachter soll zurück in die 1950 Jahre, in den real existieren Sozialismus, als Brecht am Berliner Ensemble wirkte. Aber spätestens wenn der Audio-Walker dann, klug gelenkt durch Stimmen in seinem Kopf in die Chausseestrasse einlenkt, schieben sich natürlich, wie rätselhafte Fremdkörper, die ganzen Bilder der Gegenwart in die Imagination der historischen Erzählung: Die Werbung etwa und die Geldautomaten, die Anlass geben über den Kapitalismus zu meditieren, die Pax Bank und die Katholische Akademie etwa in den Höfen zwischen der Chaussee- und der Hannoverschen Strasse, die bei Brecht Verwunderung ausgelöst hätten, weil die Religion wohl immer noch nicht entmachtet ist. Und auf der Hannoverschen Strasse dann plötzlich die Begegnung mit Brechts letzter Liebe, der Regieassistentin Isot Kilian.

„Lassen sie die Finger weg von meiner Hand, Herr Brecht! Im Sozialismus machen wir das nicht mehr so. Im Sozialismus stecken wir die Finger schön in unsere eigene Hose.“

Vorbei dann an der Notaufnahme und dem Bettenturm der Charité darf man zugleich an die Covid-19 Pandemie und an Brechts Grippeerkrankung im Jahr 1956 denken, in deren Verlauf er in dem großen Berliner Klinikum behandelt wurde. Das Ende naht und der Zuhörer ahnt, dass dieser durch die Stadt mäandernde Weg in Richtung auf das Berliner Ensemble ein einziges Ausweichen ist vor dem unentrinnbaren Ende. Es ist aber zugleich auch ein Ausweichen vor der Verantwortung gegenüber all den Frauen, deren Arbeit sein dramatisches Werk soviel verdankt, allen voran Elisabeth Hautmann.

– „Es muss doch jedermann früh oder spät sterben und vorher wolltest du mir meinen Anteil an dem Werk gewähren.
– Hauptmann, Hauptmann. Weiter geradeaus! Gehen!
– Denn… es fordert und verlangt doch die Gerechtigkeit, dass ich auch meinen Anteil kriege am Werk, und das heißt an dem Geld für meine Arbeit.“

Um vier Frauen im Leben Brechts geht es also in „Brecht stirbt“ und so als wären sie mal mild, mal heftig mahnende Erinnyen, dringen die Stimmen von Constanze Becker, Laura Balzer, Bettina Hoppe und Kathrin Wehlisch mitten in Brechts fiktives Ego. Das Künstlerkollektiv Raum und Zeit um Regisseur Bernhard Mikeska und Autor Lothar Kittstein steuert den Brecht-Flaneur letztlich vorbei an Gedenktafeln, Stadthäusern, einem ehemaligen Probenraum durch das Berliner Theaterviertel zur letzten Station.

„Du bist in diesem Haus, du bist in deinem Haus und mitten auch on dem Stück natürlich Hauptperson und also musst du auch zum Beifall der am Ende kommt, zum Schlussapplaus!“

Der Applaus ist natürlich das Zeichen für das Ende, den Tod. Brecht habe, so das Programmheftchen, einen Zettel hinterlassen, und auf dem steht eine simple Stückidee: „Ein toter Mann geht durch Berlin“ ja und hier endet das vor einem verschlossenen Theater. „Brecht stirbt“ ist ein berührender Zeitvertreib für den Theaterfreund im Lockdown.