Kafka-Inszenierung
Advokat Huld und der Toraschrein
von Eberhard Spreng
Am Berliner Ensemble inszeniert Berrie Kosky Franz Kafkas unvollendeten Roman „Der Prozess“ unter dem Titel „K – ein talmudisches Tingeltangel“ und ergänzt ihn mit weiteren Texten Kafkas wie der Erzählung „Ein Hungerkünstler“ und „In der Strafkolonie“, sowie Schumannliedern nach Texten von Heinrich Heine.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 28.09.2025 → Beitrag hören

Vor leerer, schwarzer Bühne steht ein Mensch im Pyjama. Im grellen Licht der Vorderbühne reibt er sich verwundert die Augen. Zwei fremde Kerle sind in seine Welt eingedrungen und erklären ihn für verhaftet. Was er verbrochen haben soll, erfährt er zu Beginn des berühmtes Kafka-Romans nicht und eingesperrt wird Josef K. auch nicht.
„Sie sind verhaftet, das ist richtig, mer veys ikh nisht. Ich nehme an sie werden jetzt wohl in die Bank gehen wollen?
– In die Bank? Ich dachte ich wäre verhaftet. Wie kann ich denn ich die Bank, wenn ich doch verhaftet bin?
– Sie sind verhaftet, aber das soll sie doch nicht daran hindern, ihren Beruf zu erfüllen.“
Kathrin Wehlisch spielt den Bankprokuristen. Sie soll herausfinden, wo ihre Schuld liegen könnte: In einer rätselhaft ver-rückten Wirklichkeit und in einer Serie leicht absurder Dialoge mit der Vermieterin, der Zimmernachbarin, dem Onkel und vielen weiteren Figuren. Inneres Erleben und äußere Wirklichkeit vermischen sich zu einem zunehmend bedrückenden Alptraum. Barrie Kosky hat diese Literatur nun mit Kafkas jüdischem Hintergrund verbunden. Er inszeniert den Prozess als ein jiddisches Vaudeville, einer Revue mit Tanz und Gesang.

Franz Kafka hatte in Prag seit 1911 immer wieder Aufführungen einer ostjüdischen Wandertheatergruppe besucht und im jiddischen Theater einen Wahrheitskern entdeckt, der ihm ansonsten, so Kosky, in der jüdischen Kultur gefehlt hatte. Dafür interessiert sich der Musiktheaterregisseur. Seine Aufführung mischt Passagen in deutscher, jiddischer und hebräischer Sprache. Das Hebräische ist vor allem präsent, wenn es darum geht, ein Instrument der Bestrafung ins Spiel zu bringen: Der grausame Apparat aus Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“. Er tätowiert bekanntermaßen in einem blutigen Verfahren den Schuldspruch auf den Rücken des gefesselten Angeklagten. Für diese Blutschrift steht hier ein Bogen mit angedeuteten hebräischen Schriftzeichen. Das Gericht seinerseits könnte eine Synagoge sein mit zahllosen alten Schriften und Männern mit Schtreimel, der jüdischen Pelzmütze.
„Sie hätten vor einer Stunde und fünf Minuten erscheinen sollen.“
Auch der Advokat Huld, im Roman ein höchst fraglicher Rechtsbeistand, ist hier repräsentiert durch eine jüdische Allegorie: Er ist ein Toraschrein, aus dem, skurril genug, einmal auch eine Gruppe tanzender Chassidim auf die Bühne springt.
Je mehr sich das Geschehen dem bitteren Ende und dem mit gelangweilter Routine ausgeführten Mord an Josef K. nähert, umso dichter werden religiösen Zeichen, umso mehr verliert sich die Leichtigkeit. Schauspielerin Kathrin Wehlisch, die ihren Parcours zwischen burlesker Ausgelassenheit und komischem Ernst absolviert, ergreift nun die Torarollen und liest Kafkas berühmteste Metapher für die Lebensaussichtslosigkeit: „Vor dem Gesetz“. Ist denn nun keine Erlösung in Sicht im Reich von Berrie Koskys jüdischer Metaphysik? Sein Gnadenerweis ist ein kleiner Witz im Toraschrein. Dessen Vorhang wird ein paar Mal auf- und zugezogen. Und einmal ist da plötzlich gar nichts mehr, außer der lächelnden Sopranistin Alma Sadé.
„In vinderlekhn monat may,
ven ale knospen shrpingen“
Alma Sadé spielt Dora Diamant, die letzte Liebe des Schriftstellers. Deren Beziehung, der Aufenthalt an der Ostsee und später in Berlin begleiten Briefe und Robert Schumanns Zyklus „Dichterliebe“ nach Texten von Heinrich Heine, die hier ins Jiddische übertragen sind. Sie sind in dieser Aufführung die leuchtende Herzkammer in einer metaphysisch verdüsterten Welt. In Berrie Koskys Kafka-Revue steht das jiddische Elemente für vitales Showbiz und ein Theater, das düstere metaphysische Fragen im Zauberstreich aus der Welt schaffen kann.