Nahostkonflikt auf dem Theater
Das ist unser Haus
von Eberhard Spreng
Amos Gitai hat seine Dokumentarfilme „House“ von 1980, „A House in Jerusalem“ (1998) und „News from Home/News from House“ (2005) zu einem Theaterabend verbunden. „House“ am Théâtre de la Colline in Paris ist die Chronik des israelisch-palästinensischen Konfliktes anhand der Lebenslinien von Bewohnern einer Immobilie in West-Jerusalem.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 15.03.2023 → Beitrag hören
Zwei arabische Arbeiter klopfen Steine für den Hausbau. Hinter ihnen stehen große fahrbare Gerüste auf der weiten Bühne des Théâtre de la Colline. Das Geräusch vom Behauen der Steine wird die Aufführung während ihrer zweieinhalb Stunden begleiten, wie ein stummer Kommentar über die materielle Wirklichkeit jenseits der Worte. Steine standen auch am Beginn des 1980 entstandenen ersten Teils von Amos Gitais Dokumentarfilmtrilogie. Da trieben arabische Arbeiter im Steinbruch mit gewaltigen Vorschlaghämmern Bolzen in den Fels, um ihn zu spalten. Knochenarbeit, Arbeit für Araber, sagte da schon der Subtext der Bilder.
In der Bühnenversion begleiten zwei Musiker auf den Baugerüsten die Soloauftritte eines zehnköpfigen Ensembles. Sie erzählen Gesichten, die allesamt auf ein Haus und eine Straße fokussiert sind, die Geschichten ihrer ehemaligen palästinensischen Bewohner, die Geschichten der jüdischen Immigranten, die sie heute bewohnen. Ein Land wechselt in der Folge des Krieges von 1947 bis 1949 seinen Besitzer. Das Haus in der West-Jerusalemer Dor Dor ve Dorshav ist der Mikrokosmos, an dem Amos Gitai die historische Transformation abbildet. Mahmoud Dajani hat es einmal bewohnt. Viele seiner Familienangehörigen, so erzählt der Palästinenser, bewohnten Häuser in der Nachbarschaft, Esel hielten sie, Mandelbäume standen in der Umgebung. Sie flohen in der Folge des Krieges. Die zurückgelassenen Immobilien wurden mithilfe des „Absentree’s property law“ enteignet und für jüdische Migranten frei gegeben. Gefragt wird aber auch, ob man dem jüdischen Herrn Kichka, der seine Familie in den Nazi-Gaskammern verlor, das Bleiben abspenstig machen will. Amos Gitai dokumentiert und argumentiert entlang einer verständigungspolitischen Linie, die in den letzten Jahrzehnten die europäische Haltung und das linke und liberale Lager der israelische Gesellschaft geprägt hat. Schön, dass diese fast schon altmodisch anmutende Position heute überhaupt noch einmal zu hören ist, bei all dem Erschrecken über den gegenwärtigen Rechtsruck der israelischen Politik. Auf Theaterbühnen kaum je zu sehen: Amos Gitai verwandelt Dokumentarfilme in Dokumentartheater. Aber leider verlieren die Geschichten auf der Bühne an emotionalem Gehalt. Im immergleichen Andante kommen die Akteurinnen und Akteure auf die Bühne, verkünden ihre Geschichte und gehen wieder ab. Nur Filmschauspielerin Bahira Ablassi schafft einen Moment intensiver Spannung. Im Hintergrund sind auf einer großen Videoleinwand Bilder aus Familienalben zu sehen, aber auch das Bühnengeschehen in Großaufnahmen oder aus der Vogelperspektive.
Von 1980 bis 2005 spannte sich der Dokumentarfilmzyklus und fing so auch einen Generationenwechsel ein, der das Ende der Theateraufführung bestimmt: Die Sehnsucht nach einer Überwindung der Spaltung und Konflikt: „Die Leute sprechen zuviel über die Vergangenheit, aber wir sollten die überwinden und in eine bessere Zukunft schauen.“ Ein schöner Gedanke, ebenso wie die Erinnerung an multikulturelle Toleranz, das Miteinander der Religionen, das der Nahe Osten einmal kannte. Amos Gitai, der Architekt und Filmemacher, versteht sich als Archäologe der Gegenwart und stellt die Geschichte immer wieder auch als einen friedlichen Möglichkeitsraum gegen die Herrschaft der Konflikte, Kriege, und des Völkermords.
„Als Kinder von Holocaust-Überlebenden denken wir manchmal: Hätten wir damals einen solchen Ort wie Jerusalem gehabt, hätte die Geschichte einen anderen Verlauf nehmen können.“
Mit der Einladung des israelischen Filmemachers Amos Gitai, der seit Jahrzehnten sein Land mit sozialkritischen Sittenbildern begleitet, hat der libanesisch-kanadische Theaterdirektor Wajdi Mouawad einen klugen Schachzug getan: Im deutschen München umstritten wegen seines angeblich antisemitischen Stückes „Vögel“, holt er sich einen entschiedenen israelischen Gegner der gegenwärtigen israelischen Politik an die Seite. In den nächsten Wochen wird das Theater dazu einiges an Diskussionen und Retrospektiven veranstalten. Welche Debatten „House“ in Deutschland auslösen würde? Nicht auszudenken.