Kunstfest Weimar
Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit
von Eberhard Spreng
Ehrgeiz, Trägheit, Eitelkeit, Rausch und Gewalt der Macht, die Dummheit und die Ressentiments des Volkes, aber auch ewige Fragen nach der Natur des Menschen und dem Sinn des Daseins. All das hat der 22-jährige Büchner Anfang 1835 in Dantons Tod verarbeitet. Das inszeniert der iranische Regisseur Amir Reza Koohestani mit dem Blick auf die Gegenwart. In „Dantons Tod reloaded“ spielt das Ensemble des Hamburger Thalia Theaters. Die Uraufführung war beim Kunstfest Weimar.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 08.09.2023 → Beitrag hören

Eine Schauspieltruppe auf Tournee, mit Station in Paris. „Dantons Tod“ soll gespielt werden. Aber die Franzosen streiken und die allermeisten Aufführungen fallen aus, nur welche, weiß man vorab nicht. Das Ensemble versammelt sich also jeden Tag in den Schminkzimmern und unterhält sich über Dies und Das und darüber, dass einer von ihnen im nächsten Jahr entlassen werden könnte. Außerdem soll der Dantondarsteller gegen Ende einer alkoholberauschten Premierenfeier der Regieassistentin ans Knie gefasst haben.
„Stimmt das nicht, dass im nächsten Jahr eine Stelle wegfällt? – Er hat selber gesagt, dass eine der Frauen… – Genau, aber wenn ihr jetzt so einen Fall konstruiert… So was wie ‚er hat mich angefasst’. – Ich glaube, du solltest die Drogen, die du nimmst, mal lassen. – Schon wieder eine Verleumdung.“
Stefan Stern spielt einen Darsteller, der die Büchnerfigur Danton verkörpert. An seinen Seite spielt Pauline Rénevier ihrerseits den besten Freund Camille Desmoulin. In dieser Fassung ist sie zudem die Tochter des Schauspielers, der den politischen Widersacher Robespierre verkörpert. Vor sechs großen Spiegeln finden vor allem Dialoge statt. Diese Spiegel lassen sich im Raum frei bewegen, zu immer neuen Konstellationen. Dieses einfache Dekor ist eher abstrakter Denkraum als naturalistische Theaterkulisse. Der Kampf der Giganten während der französischen Schreckensherrschaft, also Danton und Robespierre, korrespondiert hier mit dem privatem Zank ihrer Darsteller. Nicht nur deshalb sucht das Publikum in diesem boulevardesken Sittenbild nach Parallelen zum historische Konflikt. So wie der historische Danton in Büchners Stück mit melancholischem Trotz unaufhaltsam auf die Guillotine zusteuert, könnte sein heutiger Darsteller mit schnoddrigem Widerwillen gegen aktuelle Awareness-Regeln seine Kopf in die Metoo-Schlinge legen. Aber was wäre die Entlassung eines Schauspielers gegen die Enthauptung eines Politikers? Koohestani weiß um das historische Gefälle und die vergleichsweise Belanglosigkeit heutiger Erregungsroutinen. Dantons Tod wird hier nicht einfach nur aktuell überschrieben und als Making-Off-Geschichte verflacht. Hier wird ein historischer Hallraum geöffnet, in dem vor allem die Gott sei Dank zahlreichen Büchnerzitate wie Sprachmonumente der existentiellen Verlorenheit herausstechen, unter ihnen frühe Dokumente der Fusion von Eros und Todessehnsucht.
„Die Leute sagen, im Grab sei Ruhe, und Grab und
Ruhe seien eins. Wenn das ist, lieg ich in deinem Schoß schon
unter der Erde. Du süßes Grab, deine Lippen sind Totenglocken,
deine Stimme ist mein Grabgeläute , deine Brust mein Grabhügel
und dein Herz mein Sarg.“
Dantons Widersacher ist in dieser Version ein etwas abgearbeiteter, vom Leben gebeugter Robespierredarsteller, den Oliver Mallison gibt: Privat gescheitert, beruflich auf dem absteigenden Ast, aber immer noch scharf auf die Revanche an Allen, die noch leben. Neben den beiden stehen nur Frauen auf der Bühne, denen Koohestani endlich den angemessenen Rang in der Geschichte der Revolutionen und Revolten einräumt. So ist auch der mordlustige Robespierre-Kumpane Saint-Just hier in Toine Ruhnkes Spiel eine gnadenlose Feministin mit ausgeprägten Rachegelüsten für Jahrhunderte Machismus. Aber in all die europäischen Konflikträume zwischen Klassen, Sex und Gender strahlen wie von einem ferner Planeten Bilder aus dem Iran, wo die Co-Autorin Mahin Sadri Video-Posts aufnimmt, die ihr im Iran sehr gefährlich werden können. Sie erscheint hier als die Schwester der Lucile-Darstellerin Neda Rahmanian. Mit stillem Ernst schneidet sie sich eine Strähne aus dem Haar. Das war 2022 ein dann auch international nachgeahmtes Protestzeichen der „Women Life Freedom“ Bewegung. Auch das Danton-Ensemble wird diese Geste gegen Ende wie in einem andächtigen Ritual nachspielen. Die Aufführung hat nun längst das boulvardeske Geplauder hinter sich gelassen und ist zu ernsten politischen Fragen bereit. Ob man mitstreiken will, fragt es sich, ob man zugunsten einer von Entlassung bedrohten Kollegin auf einen Teil der Gage verzichtet. Es fragt sich, was Revolution ist, was Revolte, was nur Randale und ob nicht alles beim Individuum beginnen muss. Und endlich ist vor allem Büchner zu hören, seine Skepsis gegenüber dem Volk, seiner Neidlust, seinen Ressentiments. Klar ist jetzt auch: Die Motor der Bewegungen sind heute vor allem die Frauen, das Ziel ist Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit:
„Frauen meines Schlages sind in Revolutionen unschätzbar, auf ihrer Stirne schwebt das Genie der Freiheit!“
Wahrscheinlich hat Amir Reza Koohestani Recht: Veilleicht kann heute Danton nicht mehr auf einer Bühne auftreten, nicht mehr Robespierre und andere Akteurinnen und Akteure aus der Endphase der französischen Revolution. Vielleicht ist dieser historische Raum nur noch zu betreten, wenn man zugleich die zeitgenössischen Empfindungskostüme vorzeigt, mit denen man sich auf die Reise macht. Warum aber bleiben die Botschaften aus dem Iran, dessen Wächterrat und andere Instanzen des Schreckens dem altem französischen Vorbild viel näher sind, so abgerückt und fragmentarisch? Was die „Terreur“ heute ist, ließe sich im Iran und am Kampf der Frauen dort vermutlich viel besser verstehen.