Ukrainisches Theater
Zwischen Krieg und Exil
von Eberhard Spreng
Am Schauspiel Stuttgart urinszeniert Stas Zhyrkov die dystopische Komödie „Willkommen an Ende der Welt“ von Maryna Smilianets. In Stuttgart gastiert aber auch ein grandioser ukrainischer Theatererfolg: „Die Hexe von Konotop“ nach Hryhorij Fedorowytsch Kwitka-Osnowjanenko. Beides sind Beispiele für das vitale ukrainische Theater, im Exil und im Land selbst.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 26.03.2025 → Beitrag hören
Im März 2022 ging ein Video viral, in dem sich im nordostukrainischen Dorf Konotop eine Frau vor einen russischen Panzer stellt und einen Soldaten anschimpft: Ob er überhaupt wisse wo er hier sei. Das hier sei Konotop, und da sei jede Frau eine Hexe. Sie spielt an auf die in der Ukraine berühmte 1833 entstandene satirischen Erzählung „Die Hexe von Konotop“, ein kultureller Meilenstein für das Ukrainisch als Literatursprache.
Das mythologisch folkloristische Märchen wurde als Theaterbearbeitung seit seiner Premiere in Kyjiw im April 2023 zum absoluten Theaterblockbuster. Die Menschen reißen sich um die Karten. Regisseur Ivan Uryvskyi hält Theater in seinem Land im Krieg für eine absolute Notwendigkeit.
„Ich persönlich fühle mich im Theater ruhiger als zu Hause. Ich fühle mich geschützt. Theater schafft Gemeinschaft. Das Theater bringt 1000 Leute mit ganz unterschiedlichen Meinungen zusammen.“

Das war auch im Casino de Paris zu spüren, wo die Produktion in Paris gastierte und ein vorwiegend ukrainisches Exilpublikum begeisterte. Endlich war einmal Theater aus der Ukraine zu sehen, Theater, das in einem Land im Krieg entstanden war.
Tatsächlich kennt Westeuropa vor allem im Exil entstandenes Theater, von Menschen, die mit Beginn des Krieges gekommen waren, um hier weiter zu arbeiten. Die junge Autorin Maryna Smilianets ist Artist in Residence am Schauspiel Stuttgart und hat „Willkommen am Ende der Welt“ verfasst, das am Wochenende uraufgeführt wurde.
Ganz unterschiedliche Menschen harren in einem Luftschutzraum aus. Ein Atombombenangriff droht. Lebensrückblicke, über das, was man bereut, was man hätten anders machen können. Die Autorin Maryna Smilianets:
„Ich habe diese Geschichte im Verlauf des letzten Jahres geschrieben. Aber je näher die Premiere rückte, umso aktueller erschien mir der Text. Gelegentlich machte ich einen makabren Scherz: Die Premiere muss raus, bevor der Atomkrieg beginnt.“
Die dystopische Komödie, die man in der aktuellen geopolitischen Situation als nervöses Stoßgebet und letzten humanistischen Appell verstehen kann, hat Lydia Nagel übersetzt.
„2014 bis 2024, das sind 10 Jahre Krieg in der Ukraine und immer wieder neuer Versuche, künstlerisch mit Ausnahmezuständen umzugehen. Man kann sagen, dass das gesellschaftlich engagierte Theater in der Ukraine mit dem Maidan einen neuen Aufschwung genommen hat.“
Die Stuttgarter Aufführung hat Stas Zhyrkov inszeniert, der in Deutschland wohl profilierteste Vertreter des ukrainischen Exiltheaters. Er blickt kritisch auf das Theater seines Heimatlandes.
“Ich glaube, wir haben eine wirkliche Entkommunisierung und Entrussifizierung noch vor uns: In der Theaterpädagogik, an den Film-, Schauspiel- und Kunstakademien. Sogar jetzt, während der russischen Invasion, wird ein Theater der Vergangenheit studiert und gespielt.“
Entkommunisierung meint die ideologische Überwindung der Sowjetzeit, Entrussifizierung die sprachliche und kulturelle Emanzipation von der Vorherrschaft des russischen Nachbarn. Und das geschieht im Land selbst anders als im europäischen Exil.
„In der Ukraine brauchen die Leute einen normalen Abend, wie vor dem Krieg. Ich ziehe mich chic an, gehe ins Theater, trinke ein Glas Champagner. Ich tue für einen Moment so, als wäre Frieden. Anders das ukrainische Exiltheater. Es ist hart und laut.“
„Bad Roads“ schon 2017 in London entstanden, Der “Danse Macabre” mit den Dakh Daughters 2022 in Paris, „Hamlet“ auch aus dem Jahr 2022, „Mothers – A song for a wartime“, das und einige weitere sind Produktionen, die mit ihren musikalischen, ihren Revue- und Showelementen als Brücke gelten können für das Publikum im Westen und dem in der Ukraine. Sie zeigen die Notwendigkeit für Theater in Kriegszeiten, wie Ivan Uryvskyi betont.
„In den ersten Monaten des russischen Angriffs auf die Ukraine spielten die Theater überhaupt nicht. Und man fragte sich, ob Theater überhaupt noch gebraucht wird. Aber schon drei Monate später gab es wieder erste Versuche: In Kellern, auf kleinen Bühnen. Es war klar, dass Menschen sich zum Theater hingezogen fühlen.“
Deshalb ist Theater ein Publikumsmagnet. Und es hilft dem Militär. Am Ende der Aufführungen von Ivan Uryvskyis Produktion wird derzeit auch in Westeuropa Geld gesammelt. Mit ihm soll eine Seedrone finanziert werden. Und sie wird den Namen „Die Hexe von Konotop“ tragen.