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Olympische Spiele in Paris
Das Dilemma des Zeremonienmeisters
von Eberhard Spreng

Thomas Jolly ist der populärste französische Regisseur seiner Generation. Ihm sind die Inszenierungen der Eröffnungs- und Abschlussfeiern für die olympischen Sommerspiele und Paralympics 2024 in Paris anvertraut. Aber das ehrgeizige Pariser Konzept bringt nicht nur ihm ungeahnte Herausforderungen und Konflikte.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 28.12.2022 → Beitrag hören

Foto: Paris-2024

Die französische Hauptstadt hat sich für die Ausrichtung der olympischen Spiele 2024 erstaunliche, von Nachhaltigkeit und C02-Einsparungen geprägte Ziele gesetzt: Von den achtunddreißig Veranstaltungsorten für die verschiedenen Sportarten sollen nur zwei als Neubauten entstehen. Prominente Baudenkmäler wie das Grand Palais sollen für Wettkämpfe umgewidmet, bestehende Sporteinrichtungen genutzt und noch fehlende Locations lediglich als Provisoriumsbauten errichtet werden. So etwa nahe des Eiffelturms und auf der Place de la Concorde. Paris 2024, wie Macrons Großprojekt auch genannt wird, will schon zur Eröffnung ungewöhnliche Akzente setzten. Der künstlerische Direktor, Thomas Jolly, freut sich auf besondere ästhetische Herausforderungen.

„Es wird in der Geschichte der olympische Spiele das erste Mal sein, dass die Eröffnungsfeier nicht in einem Stadion stattfindet. Alle Sportler sollen auf der Seine mit Schiffen ankommen, mit großem Pomp. Die antiken olympische Spiele begannen mit der „Pompê“, wobei die Athleten feierlich die Stadt durchschritten, bevor sie ins Stadion einliefen. Nun aber, und weil wir in Paris sind, sollen sie auf Schiffen durch das Herz der Stadt ziehen. Innerhalb dieser Idee habe ich Gestaltungsspielraum, ein großes Privileg.“

Das Privileg ist in Frankreich ursprünglich eine vom König gewährte Befreiung von ansonsten geltenden Regeln. Und ein wenig erinnert das Verhältnis von Macron und Thomas Jolly in Bezug auf die olympischen Spiele an das Verhältnis von Ludwig dem Vierzehnten und Molière, der in Versailles zauberhafte Parkfeste inszenierte. Ein Parcours, der vom Pont d’Austerlitz bis zum Trocadéro führen soll, vorbei an Notre Dame, der Conciergerie, dem Louvre, den Tuilerien und dem Eiffelturm; das lädt eigentlich ein zu einer musealen Glorienschau der französischen Geschichte. Aber Thomas Jolly will Emmanuel Macrons Gedanken gerecht werden, dass Frankreich eher eine sich ständig erneuernde Erzählung sei als eine fest gefügte Identität. Ein Theaterregisseur als Kulturchef der Spiele, das belegt Macrons Bereitschaft zu künstlerischem Risiko für die Eröffnung von Paris 2024.

Die Sommerfestivals 2024 könnten abgesagt werden

Aber: sechs Kilometer Fluss mit zahllosen Tribünenaufbauten mitten in der Stadt, mit 600 Tausend erwarteten Menschen sind ein sicherheitspolitischer Alptraum. Paris erinnert sich allzu gut an die Anschläge von 2015 unter anderem auf das Stade de France, das Bataclan und Cafés der Stadt. So kam denn vor einigen Wochen der Innenminister Gérald Darmanin auf folgende Idee:

„Für uns ist klar, dass alle anderen Veranstaltungen, die ein erhöhtes Polizeiaufgebot erfordern, 2024 annulliert oder verschoben werden müssen: Also alle großen Sommerfestivals, andere Sportveranstaltungen und Konzerte.“

Ein großer Aufschrei ging durch die französischen Festivalintendanzen. Ein Sommer ohne z.B. das Festival d’Avignon, das seinerseits Teil des nationalen Kulturerbes ist und die klamme Rhonestadt alljährlich vor dem Ruin bewahrt? Dort sind neben der großen Equipe des Festivals immer auch dezent und im Hintergrund Kräfte der Polizei und der nationalen CRS im Einsatz. Kräfte, die jetzt auf Paris konzentriert werden sollen.

Avignon hat Thomas Jolly groß gemacht

Aber Avignon ist eben auch das Festival, in dem der Regisseur und Schauspieler Thomas Jolly seinen ersten großen Erfolg erlebte. Die drohende Annullierung ist für ihn ein großes Dilemma. In einem Interview mit der Tageszeitung Le Monde ärgert sich der frisch ernannte Zeremonienmeister darüber, dass der Innenminister Sport und Kultur gegeneinander ausspiele und so dem olympischen Gedanken schade. Im Programm von France Musique sagte er.

„Wir haben alle heftig darauf reagiert. Aber dieser Vorstoß darf nicht Wirklichkeit werden. Natürlich dürfen die Festivals nicht annulliert werden.“

Um den Konflikt zu entschärfen und dem Sicherheitsproblem Herr zu werden, trafen sich vor kurzem der Innenminister mit der Kultur- und der Sportministerin. Die Drei vereinbarten, dass während der heißen Phase der Spiele, vom 18. Juli bis zum 11. August, keine großen Festivals stattfinden können. Sie müssen also vorverlegt oder nach hinten verschoben werden. Die Kulturministerin ist optimistisch: Das Festival d’Avignon, die großen Musikfestivals „Interceltique“- und „Vieilles Charrues“ – sowie weitere Großveranstaltungen seien gesichert. Für den Kulturchef der olympischen Spiele womöglich ein Ausweg aus dem Dilemma: Denn wäre das Festival d’Avignon abgesagt worden, hätte er den Posten bei den olympischen Spielen wohl geschmissen.