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Testkonzerte lebensnah
Roselyne Bachelot wagt die Feuerprobe
von Eberhard Spreng

In den letzten Wochen haben sich im französischen Kultursektor die Fälle von regionalem Ungehorsam gegen die nationalen Coronaauflagen gehäuft. Der Druck auf die Kulturministerin wuchs. Jetzt geht Roselyne Bachelot in die Offensive und kündigt Test-Konzerte an. Erstmalig dürfen auch Menschen mit dem Virus rein.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 22.02.2021 – Beitrag hören

Foto: Ministère de la Culture

„L’hypothese d’un été sans festival est exclu.“

„Einen Sommer ohne Festivals wird es nicht geben.“ Das sagte Frankreichs Kulturministerin bei einem Fernsehauftritt vor wenigen Tagen. Seit Wochen steht sie unter dem Druck einer Kulturszene, die mit diversen Protestaktionen, Demonstrationen und einer Klage vor dem Verfassungsgericht gegen die im vergangenen Oktober ergangene Verordnung der Schließung der Kultureinrichtungen aufbegehrt. Mit einer Reihe von Test-Konzerten will die dadurch stark unter Druck stehenden Roselyne Bachelot nun für die französische Kultur eine Öffnungsperspektive schaffen. Im Nachrichtensender La Chaîne Info sagte sie.

„Es wird zwei Experimente in Marseille geben, zwei Konzerte mit jeweils 1000 Personen, auf Sitzplätzen, von denen sie aber auch aufstehen dürfen. Sie werden vorher einen Test machen, aber die positiv Getesteten werden nicht ausgeschlossen. Denn wir wollen eine realistische Durchmischung. In Paris führen wir den Versuch mit dem Pariser Krankenhausverband durch. Hier werden die Leute stehen, ein sehr wichtiger Test, weil er eine problematische Konzertsituation simuliert.“

Bereits im August letzten Jahres hatte die Universitätsmedizin Halle in der Arena Leipzig ein Testkonzert mit Sänger Tim Bendzko durchgeführt. Schon damals wie bei dem im Dezember in Barclona und ein im Londoner „The 100 Club“ durchgeführter Test gaben Anlass zu der Hoffnung. Es kam nicht zu Infektionen. In Leipzig wurden die Besucher mit Contact-Tracern verfolgt. Ihre Laufwege wurden damit erfasst, Bewegungsmuster aufgezeichnet, welche Flächen sie berührten, die Dauer von Kontakten zwischen den Konzertbesuchern, verschiedene Sitzdichten überprüft.

Aber alle bisherigen Konzertexperimente hatten eine entscheidende Voraussetzung: Keine der in den Konzertsaal oder in den Club eingelassenen Gäste durften positiv auf Corona getestet worden sein. Das soll nun in Frankreich anders sein. Man wird, wie angekündigt, auch Menschen mit dem Virus in den Saal lassen, alle Konzertbesucher werden wiederum nach einer und zwei Wochen erneut getestet . Das Marseiller Experiment, Ende März, begleitet INSERM, das nationale Gesundheits- und Medizinforschungsinstitut. Das Pariser Konzert mit 5000 stehenden Zuschauern zusätzlich der Pariser Krankenhausverband. Alle Konzertbesucher – im Alter von 20 bis 40 Jahren und ohne Vorerkrankung – bekommen Desinfektionsmittel und stehen unter Maskenzwang. Ein wissenschaftliches Kolloquium, so die Planung, soll die Ergebnisse am 8. April auswerten. Wenn es zu keiner Infektion gekommen ist, haben die Kulturszene und ihre Kulturministerin einen entscheidenden Durchbruch erzielt. Wenn sich Menschen in den Veranstaltungen infiziert haben, dann hat Roselyne Bachelot ein ethisches Problem. Denn dann hätte der Staat zusammen mit einer öffentlichen Einrichtung wissentlich eine Infektionssituation geschaffen, die nicht einmal Impfstoffentwicklern gestattet ist. Denn auch die dürfen ja weder eine geimpfte Person noch eine ungeimpfte aus der Placebogruppe willentlich einem Infektionsrisiko aussetzen.

Während in Deutschland die Zero Covid-Strategie immerhin diskutiert wird und die Bereitschaft vorhanden ist, auf Kultur im Dienste der Pandemiebekämpfung zu verzichten, hat sich in Frankreich der Wertemaßstab verschoben: Die Kulturnation ist bereit, für die Renaissance der nun fast schon seit einem Jahr verstummten Kultur ein höheres Risiko einzugehen. Deshalb zitieren Medien wie La Chaîne Info gerne Stimmen wie die des angesehenen Pariser Infektiologen Éric Caumes.

„Ich glaube, die Gesundheitsdebatte nimmt in dieser Krise einen zu großen Raum ein. Wir hören viel zu wenig die Stimme der Philosophen. Es fehlt die Ethikdebatte, die Frage, wie wir mit unseren Kranken umgehen sollen. Wir hören viel zu sehr auf Epidemiologen oder Mathematiker, die uns Katastrophen vorhersagen. Ich bin doch selbst Arzt und weiß um die psychischen und sozialen Probleme. Die bleiben ungelöst. Auch für die Jugend ist das sehr schwierig, all das müssen wir berücksichtigen. Wir müssen wieder anfangen zu leben, sonst versinken wir in Pessimismus.“

Marseille erklärte den kulturellen Notstand

Das Leben ohne Kultur wird zum zentralen Problem erklärt. So rief der Marseiller Bürgermeister Benoît Payan den „état d’urgence culturelle“, den kulturellen Notstand, aus und kündigte autonome Theateröffnungen an. Auf der stadteigenen Internetseite „Madeinmarseille“ erklärte er.

„Wir leiden alle darunter, unsere Gefühle nicht gemeinsam erleben zu können. Die Kultur ist Teil unseres Lebens, sie hat uns aus unserem barbarische Urzustand befreit, war Voraussetzung unserer Menschwerdung. Das Fehlen der Kultur macht unser Leben monoton. Warum können wir morgens die U-Bahn nehmen und arbeiten, aber danach nicht in eine Ausstellung? Warum ist es gefährlicher in ein Kino zu gehen als in den Supermarkt.“

Auch der Lyoneser Bürgermeister opponierte gegen die Zentralmacht, als er die eigenwillige Öffnung von zwei Museen der Rhônestadt ankündigte. Die Kultur wird zum Instrument einer Fronde, mit der sich die Provinz gegen Macrons Zentralmacht auflehnt.

Kultur auch am rechten Flügel instrumentalisiert

Daran sind grüne Bürgermeister beteiligt, aber auch der Rassemblement National-Bürgermeister Louis Aliot im südfranzösischen Perpignan. Gegen seine Entscheidung, eigenwillig die vier Museen der Stadt zu öffnen, geht inzwischen der Präfekt gerichtlich vor, also die lokale Vertretung der Staatmacht im Departement Pyrénées-Orientales. Man fragte Roselyne Bachelot, welche Gefühle sie hat, wenn sie gerichtliche Schritte gegen die Öffnung von Kultureinrichtungen mittragen muss. Die kluge Kulturministerin weiß natürlich um das politische Kalkül, das Macrons Opposition, oder besser Oppositionen, verfolgen. Ihr Vorstoß ist somit auch ein Versuch, sich in der hitzigen Kulturdebatte etwas Luft zu verschaffen.

Allerdings ist aufgrund der gegenwärtigen französischen Pandemiesituation noch nicht absehbar, ob sich eine der von Bachelot genannten Voraussetzungen für die Durchführung der Testkonzerte für Ende März, Anfang April überhaupt abzeichnet: ein nachhaltiger Abwärtstrend der Neuinfektionen.