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Debatten beim Theatertreffen
Ist Macht böse?
von Eberhard Spreng

Bereits im dritten Jahr befasst sich das Theatertreffen nun schon mit dem Thema Gender-Gerechtigkeit und Diversität. Beim Thementag „Practice what you preach“ wurde nun in vier Panels weiter diskutiert.

Deutschlandfunk Kultur, Fazit – 15.05.2021 → Beitrag hören

 

Abb.: Berliner Festspiele

Der Intendant des Deutschen Theaters, Ulrich Khuon betonte die zeitpolitische Dinglichkeit des Nachdenkens über Gender- und Diversitätsgerechtigkeit.

„Die Metoo Debatte hat uns praktisch kalt erwischt. Da musste erst ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, was eigentlich los ist. Es ist erschreckend, aber war so. Vorher hatte man das Gefühl, man wäre sowieso fair. Oder man macht das sowieso gut. Der Codex hat etwas verändert, weil endlich etwas da ist, wo jemand, der im Haus arbeitet, oder die im Haus arbeitet, sich darauf berufen kann. Vorher gab es ja überhaupt keine Referenzgröße.“

Ein Verhaltenscodex gegen sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch hat der Bühnenverein 2018 erstellt, die Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt wurde im selben Jahr gegründet. Macht am Theater ist per se suspekt geworden, insbesondere die der alleinherrschenden Intendanten. Hebbel-am-Ufer-Chefin Annemie Vanackere sieht sie vor allem kulturpolitisch begründet.

„Wir sind also auch eine landeseigene GmbH. Ich glaube diese klassische Struktur kommt daher, dass die politischen Strukturen das ganz gerne haben. Weil das ist ganz einfach: Man muss mit einer Person umgehen, wenn die Mist gebaut hat, dann rollt der Kopf und man nimmt einen anderen, ohne die Struktur wirklich anfassen zu müssen. Für mich ist Macht auch nicht unbedingt das Böse, weil es kann auch sein, dass man damit Leuten den Rücken freihält und dass es klar ist, wer Verantwortung trägt wofür. Es geht natürlich um Verteilung aber mit Macht kann man auch so umgehen, dass man es in Kraft umwidmet und damit etwas tut.“

Die Doppelspitze in Zürich

In den letzten Wochen wurden innerhalb der Debatte um machtmissbräuchliche Alleinherrscher immer wieder gerne, als einer der Lösungsansätze, Doppelspitzen erwähnt, wie die am Zürcher Schauspielhaus, mit Regisseur Nicolas Stemann und Dramaturg Benjamin von Blomberg.

„Dieser Job ist richtig hart. Ich glaube, dass es gut ist, dass man nicht zuviel Verantwortung hat, weil die Kapazität im Kopf und im Körper einfach nicht reicht. Deshalb ist klar: Es gäbe mich nicht ohne Nicolas, weil ich hätte mich niemals beworben alleine. Und die Konflikt, die aufkommen, die haben auch etwas mit der Schönheit dieses Vorhabens zu tun, dann wiederum zu sagen, zu zweit das ist noch nicht genug, sondern wie holen noch weitere sieben Hausregisseur*innen, das ist eine schöne Setzung aber die ist konfliktvoll, weil die geht ans Eingemachte, weil die fragt ja tatsächlich nach der Verteilung von Kapazitäten und dann wiederum nach der Verteilung von Macht.“

Für Nikolas Stemann ist das Teilen der Leitungsverantwortung ein Gewinn in der künstlerischen Arbeit.

„Ich finde interessant, dass man es auch toll findet, wenn es dann ganz anders läuft, als man sich das ursprünglich vorgestellt hat. So geht mir das beim Inszenieren auch. Das ist doch toll, dass, was auf der Bühne nachher zu sehen ist, nicht meine Idee ist, sondern etwas anderes. Und immer ist das mehr, dieses Andere. Und so geht mir das jetzt auch bei der Intendantentätigkeit.“

In einem kurzen Vortrag erinnerte Dramturgin Anna Volkland an die Vorgeschichte von Mitbestimmungsmodellen an deutschen Theatern, bevor das letzte Panel „How to power“ Fragen stellte nach heute denkbaren Modellen der Beteiligung der Theatermitarbeiterinnen und Theatermitarbeiter an Entscheidungsprozessen. Dortmunds Intendantin Julia Wissert plädierte für eine möglichst ergebnisoffene Diskussion.

Es gibt nicht nur das eine Modell

„Die Diskussion wird unscharf, da es im Grunde meines Erachtens nach eine Sehnsucht nach dem einen Modell und dem einen Weg gibt. Und ich könnte mir vorstellen, dass wenn ich als Intendantin einer Institution in Dortmund spreche, hier vielleicht Dinge ausprobiert würden, die vielleicht in Bautzen oder in Freiburg gar nicht funktionieren. Das heißt nicht, dass das eine schlechter ist als das andere, sondern nur anders und dass es Vor- und Nachteile hat. Ich glaube, das Eine wird nicht funktionieren.“

Nach dem Ensemble-Netzwerk, das sich nun schon seit Jahren für Rechte und Entscheidungsbeteiligung von Schauspielerinnen und Schauspielern engagiert, ist im Januar dieses Jahren das EnsembleBündnis Berlin ins Leben gerufen worden, dessen Mitglied Linda Pöppel den Ensemblegedanken auf andere Theatergewerke ausweitet.

„Also wer ist eigentlich das Ensemble? Sind das wirklich nur die Spielerpositionen und Spielerinnenpositionen oder ist es nicht in gewisser Hinsicht auch ein Gedanke zu sagen: Das ist die Gemeinschaft Theater, also die gesamte Belegschaft; alle Beteiligten sind ein Ensemble an einem Haus.“

Mit diesem Gedanken schlösse der heutige Bühnennachwuchs an Vorstellungen an, die es im politischen Theater der Vergangenheit bereits einmal gab. An das Theater auch als utopischem Ort und Raum für gesellschaftliche Experimente.