Pariser-Theaterneugründung-Théâtre-de-la-Concorde

Theaterneugründung in Paris
„Ein Theater für die Schüchternen“
von Eberhard Spreng

Fake News und Desinformationskampagnen gefährden die Demokratie. Diesem Trend sagt die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo den Kampf an und gründet ein neues städtisches Theater: Das Théâtre de la Concorde, das Nahe des Élysée-Palastes seine Arbeit aufnimmt. Seine Chefin Elsa Boublil hat große Pläne.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 03.04.2024 → Beitrag hören

Das Théâtre de la Concorde (Foto: Ville de Paris)

In einer Zeit dramatischer Mittelknappheit und Einsparungen im staatlichen Kulturbudget leistet sich die Stadt Paris ein neues Theaterprojekt. Elsa Boublil, die an ihrem neuen Arbeitsplatz noch neben unausgepackten Umzugskartons Konzepte entwickelt, freut sich auf eine politisch bedeutsame Aufgabe.

„Die Bürgermeisterin hat einen klaren Standpunkt: Kultur ist der beste Ort für die Stärkung der Demokratie. Das erste, was Diktaturen unterbinden, ist Kultur. Deshalb hat sie das Kulturbudget für die nächsten zwei Jahre um 12,5 Millionen erhöht, was ganz ungewöhnlich ist.“

Quasi in Steinwurfnähe zum Élysée-Palast und am Ostende der teuren Pariser Prachtmeile logiert das neue Kulturprojekt in einem Areal, das im 18-ten Jahrhundert einmal als Café des Ambassadeurs die Schicken und Prominenten der französischen Metropole mit Konzerten und Variétés erfreute. Eine Nobeladresse wird das neue Theater künftig aber nun gerade nicht sein, wie Elsa Boublil betont.

„Das Théâtre de la Concorde will für alle Theater machen. Ich nenne es: ‚Das Theater für die Schüchternen’. Für all die, die Schwellenängste haben, sich sozial ausgegrenzt fühlen, Sorge haben, geistig nicht mitzuhalten.“

Kultur-, Sozial- und Bildungsarbeit, die Aufgabenbereiche gehen hier künftig ineinander über. Das Théâtre de la Concorde versteht sich als Werkstatt für die Reparatur von Demokratiedefekten und als Labor für die Erprobung neuer Kulturformate.

„Wir beginnen mit einem vorläufigen Programmschema, das ich „Baustelle Théâtre de la Concorde“ nenne. Im März hatten wir die Frauenfrage, im April steht Zeit und Erinnerungskultur im Mittelpunkt, denn der Monat ist voll von Gedenktagen. Mit dem Blick auf die Europawahlen ist im Mai unser Kontinent Themenschwerpunkt und im Juni, vor den kommenden olympischen Spielen, der Körper.“

Im Beirat sitzt auch die Soziologin Eva Illouz

Ein Beirat betreut die neue Institution, die Soziologin Eva Illouz oder der Mittelalter-Spezialist Patrick Boucheron gehören ihm an. Die Demokratie vor dem aktuellen Trend zum Autoritarismus schützen, wie kann das gehen? Elsa Boublil setzt auf Pädagogik.

„Über die Woche machen wir am Tag Programm für Schulkinder, von der Grundstufe bis zum Gymnasium. Das sind von Profis geleitete Workshops: Wie funktioniert die Demokratie?. Wozu dienen Gerichtsverfahren? Was ist ein Gemeinderat? Warum wählen?“

Ansonsten will die neue Leiterin von dem guten Ruf profitieren, den sich das Areal in den letzten acht Jahren auf der Pariser Kulturlandkarte erwarb. Das ebenfalls städtische Théâtre de la Ville nutze es als Ausweichspielort. Jetzt aber sollen Debatten- mit Bühnenformaten verschränkt werden.

„Am Nachmittag werden wir ein Volkshochschulprogramm veranstalten. Und am Abend zeigen wir Aufführungen, die sich auf die Themen des Tages beziehen.“

Zumal nach den Lockdowns der Coronazeit hatten viele Theater Mühe, ihr Publikum zurückzugewinnen. Befragungen ergaben, dass es nun von der Institution Theater anderes erwartet. Theater soll helfen beim Begreifen der Welt, beim Überwindung der Isolation, bei der Wiederaneignung des Gesellschaftlichen.

„Wir haben im Pariser Rathaus viel darüber nachgedacht und die Freiflächen des Areals zu Bühnen gemacht. Der Anlass dafür war ursprünglich Covid-19. Nun aber erleichtern sie einem scheuen Publikum den Zugang zu unserer Kultureinrichtung. Hier kommt man nicht durchs Eingangsportal ins Theater, sondern über eine Thematik und ganz beiläufig schlagen wir dann auch noch eine Aufführung vor.“

Das neue Theater ist auch ein Testfall in der produktiven Konkurrenz zwischen Stadt und Staat: In zwei Jahren könnte die konservative Rachida Dati zur Bürgermeisterin von Paris gewählt werden. Unter anderem deshalb ist das progressive Kulturexperiment schon heute zum Erfolg verdammt.