Onlinekonferenz-Rekonstruktion-der-Welt-von-Medico-International

Online-Konferenz
Nur noch kurz die Welt retten
von Eberhard Spreng

1997 wurde an die Hilfs- und Menschenrechtsorganisation Medico International der Friedensnobelpreis für deren Kampagne zum Verbot von Landminen verliehen. Jetzt hat sie die internationale Online-Konferenz „Die [Re]konstruktion der Welt“ veranstaltet.

Abb.: Medico International

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 15.02.2021 → Beitrag hören

Medico International will Forum sein für Zukunftsentwürfe. So ging es in der Konferenz ums Ganze, oder zumindest um Fragmente aus dem Ganzen: Um diverse soziale Bewegungen des Feminismus, des Antirassimus, der arabischen Befreiungsbewegungen, des chilenischen Kampf ums Wasser als elementarem Menschenrecht und vieles mehr. Begriffe wie Degrowth und Postwachstum fielen, Fragen wurden gestellt wie: Braucht der Kapitalismus Ausbeutung und patriarchalische Unterdrückung? Es ging also um Denkräume für eine Welt, in der die Chance bestünde, dass sich auf ihr endlich so leben lässt, wie es die Erklärung der Menschenrechte dereinst versprach. Der in Kamerun geborene und heute in Südafrika lehrende Philosoph Achille Mbembe skizzierte die Richtung:

„Wie sollen wir mit dem Leben umgehen? Für jeden und jedes? Nicht nur für einige unter Ausschluss von anderen, sondern für alle Lebewesen, und das sowohl für heute als auch für die unbegrenzte Zukunft.“

Das wäre im Ansatz die Neufassung einer Menschenrechtscharta, die nun auch das nichtmenschliche Leben einschließt. Sie müsste einen Geburtsfehler des Kantischen Universalismus überwinden, der bis heute die westliche Vorstellung von Gesetzen mit universellem Geltungsanspruch prägt.

„Im Zeitalter des Anthropozäns müssen wir die kosmopolitische Weltanschauung hinter uns lassen und zu einer neuen Ethik der Erde kommen, einem neuen gemeinsamen – und hier würde ich nicht sagen : Besitz der Erde, sondern zu einer gemeinsamen Bewahrung der Erde. Und wenn uns eine Ethik für die gemeinsame Erde am Herzen liegt, die einen völlig neuen Horizont erschließt, dann müssen wir im ersten Schritt Ausschau halten nach neuen Archiven.“

Achille Mbembe war einer der Hauptredner (Foto: Heike Huslage-Koch)

Außereuropäische Narrative, nicht in westlichen Kulturräumen eingebettete Mythen und Letztbegründungen müssen Teil eines neuen globalen Weltbildes werden. Achille Mbembes Gesprächspartnerin, die Soziologin Sabine Hark ergänzte das Misstrauen am Kantschen Erbe aus feministischer Perspektive.

„Wir glauben, die liberalen Ideen könnten einfach für alle verallgemeinert werden und ignorieren bis heute, dass der Universalismus ein gewalttätiger, partikularer Universalismus gewesen ist. Dass er auf der Preisgabe von Reziprozität, auf exklusiver Solidarität basierte, dass Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und ich benutze jetzt bewusst Brüderlichkeit – ja schon im Begriff nicht alle meinte. Nicht alle konnten und können Brüder sein, und ich würde sagen, aus feministischer Perspektive: Nicht alle wollen Brüder sein.“

Offen blieb in dem Gespräch der deutschen Mitbegründerin der Queer Theory und dem führenden afrikanischen Denker Achille Mbembe, ob ein neuer Universalismus nun auf vielen diversen Beinen zu stehen kommt, oder ob es nur eine bunte Ansammlung von Universalismen geben wird, die je nach Weltgegend oder Gruppenzugehörigkeit ihre Vorherrschaft behaupten.

Die führende lateinamerikanische Anthropologin Rita Laura Segato gab in ihrem farbenreichen Vortrag Beispiele für ihre Kritik an einer „Pädagogik der Grausamkeit“ und einer maskulinen Kultur der Desensibilisierung, Verdinglichung, bis hin zur Virtualität, die sich in der Corona-Pandemie beschleunige. Sie plädierte für eine Ergänzung des alten Werte-Dreiecks: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit um die Begriffe der Reziprozität und Solidarität.

Wie aber kann die Welt re-konstruiert werden und zu einem „Ort, den zu bewohnen lohnt“, was sich die Konferenz zu skizzieren vornahm ? An utopischen Entwürfen fehlt es nicht, wohl aber an den notwendigen Vermittlungsschritten dahin, erklärt die Berliner Journalistin Ulrike Herrmann.

„Das Problem ist nicht die Vision, das Problem ist der Weg dahin. Wie kommen wir aus dem dynamisch wachsenden Kapitalismus in eine schrumpfende Kreislaufwirtschaft, ohne dass man unterwegs eine Wirtschaftskrise provoziert? Mit Millionen von Arbeitslosen, die alle Angst um ihr Einkommen haben? Diese Frage der Transformation, die ist nicht geklärt und es hilft überhaupt nichts, Visionen als Transformationen zu deklarieren, weil man hat die Transformation immer noch nicht.“

Es war wie so oft: Kaum stehen harte Wirtschaftsthemen zur Debatte, macht sich Ernüchterung breit. Aber immerhin eine Idee für den Ausweg aus der Klimakrise wies Ulrike Herrmann mit einem historischen Beispiel: Die englische Kriegswirtschaft der 1940er Jahre, der politisch durchgesetzte Umbau einer Volkswirtschaft unter der Bedrohung einer unabwendbaren historischen Notwendigkeit. Und immerhin, mit Corona, das manche in diesem Zusammenhang als unerbittlichen Lehrmeister betrachten mögen, kann Politik ihre Einsicht ins Notwendige und ihren Umgang damit trainieren.