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Goethe-Tagung in der Volksbühne
Müde in der Faust-Maschine
von Eberhard Spreng

In der Volksbühne trafen sich Faust-Kenner zur Tagung „Faust, aus und vorbei“ über das Zivilisationsmodell, das Goethe in seinem großen Lebenswerk entwirft. Das faustische Menschen- und Gesellschaftsmodell scheint sich zu erschöpfen. Zugleich aber ist seine Vision der personifizierten Unruhe heute aktueller als je zuvor.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 29.05.2017

Die Diskussion zum Abschluss der Tagung "Faust, aus und vorbei" im Roten Salon
Carl Hegemann, Valery Tscheplanowa, Diedrich Diederichsen und Boris Groys. (Foto: Eberhard Spreng)

Seit Oswald Spenglers epochemachendem, vor einhundert Jahren entstandenen „Untergang des Abendlandes“ hält man die westliche, die Faustische Kultur gerne für eine, die im allmählichen Verschwinden begriffen ist. Die Faust-Tagung in der Volksbühne trägt denn auch den flott programmatischen Titel „Faust, aus und vorbei“. Den Anfang machte der Autor des Philosophie-Bestsellers „Die Unruhe der Welt“, Ralf Konersmann, der, gestützt auf den Geschichtsphilosophen Hegel, in Faust einen neuzeitlichen Helden der Unruhe entdeckt, dessen stete Umtriebigkeit ihn allerdings von klassischen Vorbildern absetzt. „Der Held Hegels ist ein Stoiker. Jener Halbgott also, der nach getaner Tat seine Ruhe stets zurückgewann.“ In Goethes berühmtem Pakt mit dem Teufel sind solche Momente der Ruhe nicht vorgesehen. „Ins Auge springt besonders die Wette, in der Faust das Ethos des Verweilens und der Ruhe durch das Ethos des Strebens und der Unruhe förmlich ersetzt und mit diesem Bekenntnis das dramatische Geschehen komplett einer neuen Normalität unterstellt: Der Normalität der Unruhe.“

Der Mensch – ontologisch ein Wesen mit Behinderung

Der Kulturhistoriker und Goethe-Spezialist Manfred Osten findet wiederum bei Goethes selbst die Begründung für das notorisch unruhige Leben des Menschen. Es ist in seinem Wesen begründet. „Dieser Grund liegt bei Goethe in einem ontologischen Defekt. Er sagt: Theorien sind Übereilungen des ungeduldigen Verstandes, der die Phänomene gerne loswerden möchte.“

Osten erinnerte daran, dass Goethes Haus in Weimar eine regelrechte Informationsplattform für die gewaltigen Neuerungen war, die die damalige Zeit umtrieben und Eingang in sein Lebenswerk Faust fanden. Faust hat ein Kolonisierungsprojekt, das selbst vor dem Erbe der Antike, vertreten durch die Hütte von Philemon und Baucis, nicht halt macht. Er will, wie der Philologe Michael Jaeger in seinem Vortrag ausführte, die Welt nach den Regeln der Rationalität neu erschaffen und ist, dem Titel zu seinem Faust-Buch von 2008 zufolge, ein „Global Player“. „Worauf zielt jedoch absurderweise jenes moderne Zivilisationsprojekt? Es zielt auf das Sanktuarium der goetheschen Klassik. Auf das in der europäischen Literaturgeschichte überlieferte Symbol der Zivilisation, auf solche Verhältnisse, die im Zeichen der Kultur, der Humanität, der Xenophilie stehen.“

Michael Jäger bei seinem Vortrag: "Faust und die Stadt"
Michael Jaeger fahndet nach dem Faustschen Denken in der Architektur der DDR. (Foto: Eberhard Spreng

Michael Jaeger hatte an der sozialistischen Architektur am Berliner Alexanderplatz und der Karl-Marx-Allee Fassadenbilder photographiert, die allesamt auf das Versprechen einer neuen, faustischen Gesellschaft verweisen. Am Haus des Reisens sah er ein Kupferrelief des sozialistischen Realisten Walter Womacka. „Es trägt den Titel: „Der Mensch überwindet Zeit und Raum“. Die Überwindung von Zeit und Raum ist das Faust-Projekt schlechthin. Ist die Utopie komplett rationalisierter, vollkommen vernünftiger Daseins- und Weltverhältnisse, eine harmonische Symbiose von Mensch und Technik.“

Die Müdigkeit des Faustischen Menschen und das Ende der Träume

Von der sich an die Vorträge mit anderen Teilnehmern anschließenden Diskussion durfte man eigentlich erwarten, dass sie das Versprechen einlösen könne, das sich im Titel der Veranstaltung ausdrückt: „Faust, aus und vorbei“. Aber, bei allem Unbehagen und westlichen Selbstzweifeln, vorbei ist das Faustprojekt nicht, es ist nur, wie Kunsthistoriker Boris Groys anmerkt, etwas müde geworden. Für ihn ist „…der republikanische Traum ausgeträumt, ist der europäische Traum ausgeträumt, ist der kommunistische Traum ausgeträumt. Warum eigentlich? Weil man sie schlecht, unangemessen gefunden hat? Nein, weil die Menschen müde geworden sind. Sie können diese unendliche Last des Begehrens nicht mehr tragen.“

Warum der abendländische Mensch aber trotz Müdigkeit und Skepsis aus der Faustschen Kolonisierung von Selbst und Welt nicht aussteigen kann, darauf hat die kleine Tagung kaum Antworten gesucht, obwohl Goethe selbst sie im Abschnitt über den Kaiser und das Papiergeld zumindest andeutet. Das Faust-Projekt steckt eben auch in einer mathematischen Wachstumsformel, und die wirkt unerbittlich, jenseits vom Wollen und Wünschen der Menschen.