Milo-Rau-startet-School-of-Resitance

Theater und Covid-19
Eine Schule des Widerstandes
von Eberhard Spreng

“Dieser Wahnsinn muss aufhören“ ist die erste Folge einer Debattenreihe, die Milo Rau initiiert hat. Sie heißt „School of Resistance“ und will die aktuellen Möglichkeiten politischer Kunst ausloten. Sie begann mit einem Appell der Aktivistin und Schauspielerin Kay Sara aus der indigenen Bevölkerung Amazonien. Danach diskutieren die kubanische Künstlerin Tania Bruguera mit dem Schweizer Milo Rau.

Deutschlandfunk Kultur, Fazit – 16.05.2020
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 17.05.2020 → Beitrag hören

Kay Sara in ihrem Videoappell (Foto: NTGent)

Ein Videostatement vom andern Ende der Welt: Eine Frau aus der indigenen Amazonasbevölkerung richtet einige Worte an die Weltgemeinschaft. Sie spricht aus einem Erfahrungsraum einer doppelten Bedrohung. Feuer und Abholzungen vernichten  ihren Lebensraum; Covid-19 bedroht sie und ihre Mitmenschen.

„Die Weißen nutzen das Chaos, um noch tiefer in die Wälder einzudringen. Die Feuer werden nicht mehr gelöscht. Von wem auch? Wer den Holzfällern in die Hände fällt, wird ermordet. Und was hat Bolsonaro getan? Das, was er immer getan hat: Er schüttelt die Hände seiner Unterstützer und verspottet die Toten. Bolsonaro will den Genozid an den Indigenen, der seit 500 Jahren anhält, zu Ende bringen.“

Covid-19 als Mittel des Genozids

Die Regierung, so die Schauspielerin und Aktivistin Kay Sara, hat Mitarbeiter geschickt, um die indigene Bevölkerung anzustecken, unter dem Vorwand, sie über eine Krankheit zu informieren. Das Immunsystem der indigenen Bevölkerung des Amazonas ist auf das Virus noch schlechter vorbereitet, als das der restlichen Weltbevölkerung. Kay Sara kann nicht, wie geplant, auf der Bühne des Burgtheaters Antigone spielen, in einer Inszenierung, die Milo Rau eigentlich auf einer besetzten Straße im Amazonasgebiet aufführen und dann nach Wien bringen wollte. Nun steht die Botschaft seiner Protagonistin als Appell am Anfang einer virtuellen Diskussion über Strategien der politischen Kunst in Zeiten von Corona. Milo Rau: „Wir reden ständig. Und erklären. Das wird zuviel. Es ist jetzt an der Zeit zu warten, zu schauen, was geschieht. Wir müssen heute vor allem Verbindung herstellen, Verbindung zwischen Wissenräumen und Handlungsweisen. Und Räume schaffen für diese Erfahrung. Das Problem des typischen Theaters ist doch, dass sich da eine Gruppe von Leuten, die sich von der Theaterschule her kennen, ein Kollektiv nennt, weil man zusammen etwas fabriziert. Aber jetzt müssen wir Menschen zusammenbringen, deren Denkwelten sich nie begegnet sind, dann ist da mehr als reden oder schweigen, dann gibt es einen realen Dialog, und aus dem entsteht etwas, das niemand zuvor gewusst hat.“

Zehn Jahre, so mahnt Kay Sara, trennen die Welt noch von dem Kollaps des Amazonas als der grünen Lunge der Erde. Wenig Zeit auch für politische Künstler, sich neu zu positionieren. Milo Raus Gesprächspartnerin, die kubanische Aktionskünstlerin Tania Bruguera, reflektiert in einem Land voller Repressionen ihre Strategien und Handlungsweisen. „Für meine Arbeit, für meine „Kunst der Nützlichkeit“ benutze ich gerne ein schönes spanisches Wort, das es im Englischen nicht gibt: Alegal. Das ist, wenn sie sich auf eine Weise verhalten, die im Gesetz noch nicht vorgesehen ist. Es ist also nicht illegal. Ich mag diese Strategie wirklich gern, sie ist jenseits des Gesetzes. Sie entspricht meinem ethischen Gerechtigkeitsgefühl, aber sie ist nicht illegal. Es ist wichtig, Dinge ‚alegal’ und nicht illegal zu tun, denn wenn man sich illegal verhält, liegt alle Macht der Sanktion in der Hand der Regierung.“

Milo Rau und Moderatorin Lara Staal im Gespräch mit Tania Bruguera

Das von der Holländischen Kuratorin Lara Staal moderierte Künstlergespräch der Reihe „School of Resistence“ beleuchtet Fragen von Recht und Gesetz, von Erziehung und Strategien der Befreiung. Wie kann der Sklave die Unterdrückung durch seinen Herren überwinden, ohne selbst Herr werden zu wollen, ohne also im Schema einer gegenseitigen Abhängigkeit zu verharren? Ist die durch Covid-19 erzwungene Digitalität unserer Begegnungen eine Chance? Steht am Ende der Krise eine noch unumstößlichere Herrschaft der neoliberalen Globalität? Welche neuen Formen der Kommunikation ermöglicht der Lockdown? Tania Bruguera ist verhalten optimistisch, wenn es darum geht, durch Kunst eine neue Ethik zu ermöglichen. „Für meine Arbeit nutze ich ein Konzept, das mit dem spanischen Wort ‚estética’ zusammenhängt. Wenn wir das zerlegen, dann ist da die Silbe est- , was soviel wie ‚sein’ bedeutet, und ética, also Ethik. Ich liebe diese Bedeutungskollision. Dann wird die ästhetische Erfahrung zu etwas, in dem sich eine neue Ethik ausdrückt.“

Die Kunst des Verbindens

Für Milo Rau, in dessen Kunst sich immer schon politisches Engagement und die Befragung ästhetischer Regelwerke durchmischten, ist nach seinen Erfahrungen im Amazonas die Rückkehr in die Routinen der klassischen Theaterproduktion kaum denkbar. Und dies nicht obwohl, sondern vielleicht gerade weil er Gegenwartserfahrungen mit der Analyse antiker Tragödien koppelt, wie eben die der Antigone und des Herrschers Kreon, der Staatsraison und Gesetz durchsetzt.

„Für mich ist die Arbeit der nächsten Jahre und dieser School of Resistance, dass alles real werden muss. Es geht darum, Wissen und Tun zu verbinden. Wenn man sich Kreon anhört, ist das Schlimmste zu spüren: Er weiss, dass er direkt auf die Apokalypse zusteuert, und er hasst sich dafür, aber er macht weiter. Die Tragik liegt in der Frage, wie Wissen mit Handeln verknüpft ist. Mich interessiert, wie Wissen, Gefühl und Tun wieder eine Verbindung eingehen können. Wissen ist nichts, Tun ist nichts. Verbinden ist alles.“

Raus School of Resistance ist ein Aufruf, die verdrängte Notwendigkeit einer sofortigen Veränderung als künstlerische Praxis erfahrbar zu machen.

Die Rede Kay Saras, abgedruckt in der Taz vom 16.05.2020

Der Videostream der Veranstaltung