Kulturszene im Panikmodus vor der Wahl zum französischen Abgeordnetenhaus

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Frankreich vor der Wahl
Kultur im Panikmodus
von Eberhard Spreng

Die Entscheidung des französische Präsidenten Emmanuel Macron, das Parlament aufzulösen und sein Volk nach dem Rechtruck bei den Europawahlen zu den Urnen zu rufen, hat das Nachbarland in eine fieberhafte Neuordnung der Parteienlandschaft gestürzt. Die Kulturszene gerät dabei in den Panikmodus, weil ein Wahlsieg des Rassemblement National immer wahrscheinlicher wird.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 27.06.2024 → Beitrag hören

So erstaunlich es erscheinen mag, aber der Rassemblement National, kurz RN, macht in seinem 22-Punkte-Programm für die Wahl der Nationalversammlung keine Aussage zur Kultur. Und das, obwohl die rechtsextreme Partei in der Vergangenheit, wo sie es konnte, immer wieder kulturpolitisch massiv interveniert hat. Der scheidende Chef des Odéon, des führenden Nationaltheaters, Stéphane Braunschweig, beobachtet das seit Jahren.

„Der Rassemblement National hat ein Projekt: Es besteht aus Zensur, Kulturumbau, Umbesetzung der Leitungen. Es ist ganz klar: die Kultur macht ihnen Angst.“

Wer verstehen will, was Frankreichs Kulturszene unter einer von den Extremrechten geführten Regierung erwartet, muss nur in die Vergangenheit schauen. Im provenzalischen Orange gewann der ultrarechte Jacques Bompard 1995 die Bürgermeisterwahlen. Im antiken römischen Theater der Stadt findet jedes Jahr ein international besetztes Opernfestival statt. Dessen Präsident, der konservative Politiker Thierry Mariani erlebte Kurioses mit dem ultrarechten Bürgermeister.

„Der Bürgermeister forderte, dass kein Bühnenbildelement einen Aspekt der alten Fassade verdecken darf. Später sagte er sogar, er wolle alle Bühnenbildentwürfe zur Genehmigung vorgelegt bekommen. Eine absurde Idee, welcher anerkannte Bühnenbildner akzeptiert denn so etwas?“

Schlimmeres erlebte in Orange die Bibliotheksleiterin Cathérine Canazzi. Der Bürgermeister ließ Bücher aus den Regalen der kommunalen Bibliothek entfernen und forderte die Aufnahme all jener Publikationen in die Bestände, die Sympathisanten des neurechten Denkens verfasst hatten.

„Der Bürgermeister sagte mir: „Sie brauchen nicht zu diskutieren, sie nehmen diese Bücher in die Bestände auf“, was ich als Kommunalbeamtin leider tun musste. Später ließ er sich außerdem die Listen für den Büchererwerb zur Genehmigung vorlegen. Mit der Freiheit der Bibliothek war es vorbei.“

Kulturpolitik nach Gutsherrenart. Das, was der Bürgermeister damals in die Bibliothek brachte, war in der Regel im Selbstverlag herausgegebenes Geschreibsel. Das ist heute anders. Der Büchermarkt ist nun erheblich von dem ultrakonservativen Medien- und Verlagsmogul Vincent Bolloré geprägt, klagt die Buchhändlerin Maud Pouyé.

„Bolloré besitzt ein Medien- und Verlagsimperium mit unglaublicher Marktmacht. Und das überflutet unsere Buchhandlungen mit ekelhaften, hasserfüllten, transphoben, rassistischen und antisemitischen Inhalten.“

Bolloré, Mastermind für ein Bündnis von Rassemblement National und Teilen der konservativen Republikaner, dürfte sich auch freuen über die von Marine Le Pens Partei geplante Privatisierung der öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft. Filmproduzentin Judith Lou Lévy erklärt, was das bedeutet würde.

„Wir erleben eine Medienkonzentration in der Hand der extremen Rechten. Aber jetzt auch noch die Privatisierung der öffentlich-rechtlichen Medien zu planen, würde den Verlust der Öffentlichkeit bedeuten. Es wird dann einfach keinen Raum mehr geben für den offenen Austausch der Ideen.“

Frankreich erlebt zudem eine Spaltung, einen Bruch von Lebenswelten zwischen Stadt und Land. Die Theaterprinzipalin Ariane Mnouchkine äußerte in der Tagespresse diesbezüglich erstmalig auch Selbstkritik und konstatierte Blindheit der Kulturszene für die Nöte der Land- und Stadtrandbevölkerungen. Eine Spaltung beobachtet auch Éric Bart, der Programmchef eines großen Theaterfestivals in Montpellier.

„Der Rassemblement National legt nicht in Paris und den großen Städten zu, sondern auf dem Land. Die Städte sind umzingelt. Ein paar Kilometer von unserem Festivalort entfernt, wählen die Leute zu 50% die Ultrarechten. Wir erleben jetzt einen Riss, den es so nie gab. Frankreich ist in Gefahr, es ist das erste Mal, dass ich das so empfinde.“

Ausdrücklich bekannt hat sich der Rassemblement National nur zum französischen Bauerbe und plant ein Ministerium für Kultur und Tourismus. Was er ansonsten unter Kultur versteht, ist im Grunde nicht Kunst, sondern lokale Folklore. Er verabscheut erklärtermaßen die zeitgenössische Kunst und empfiehlt: Wer zeitgenössische Kulturproduktion wünscht, möge sie selbst finanzieren. Geplant war schon vor Jahren eine drastische Reduktion des Kulturetats. Was die Ultrarechten letztlich betreiben, ist eine Kultur ohne Künstlerinnen und Künstler.