Buchvorstellung in der Volksbühne
Klassismus heißt die Losung
von Eberhard Spreng
Didier Eribon und Édouard Louis haben die Arbeiterklasse wieder zum Thema von Literatur gemacht. Ähnliches versucht nun die Anthologie „Klasse und Kampf“. Elf ihrer Autorinnen und Autoren sprachen in der Volksbühne über das Projekt.
Deutschlandfunk, Kultur Heute – 14.04.2020 → Beitrag hören
Elf der vierzehn Autorinnen und Autoren der Anthologie „Klasse und Kampf“ konnten sich in der Volksbühne äußern. Viele sprachen von biografischen Erfahrungen, viele vom Empfinden der Scham, dem schmerzhaften Gefühl des Mangels, wie ihn die inzwischen erfolgreiche Romanautorin Lucy Fricke einst bei der Bewerbung an einer Filmschule erfuhr.
„Es war offiziell so: Es braucht kein Abitur für diesen Studiengang, aber wenn man keins hat, kriegt man automatisch „10“ markiert auf dem Deckblatt schon beim Einsortieren und dann muss man aus diesem Minusbereich erst mal wieder rauskommen. Man muss besser sein als die anderen. Und nicht genauso gut, das reicht in dem Fall nicht. Man startet eben im Minus.“
Das Minus auf dem Deckblatt einer Bewerbung, das Minus auf dem Konto. Davon sprach die Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo.
„Ich verstehe Geld nicht. Ich habe mich nie wirklich damit auseinandergesetzt, was es bedeutet. Und irgendwann sitze ich da mit meinen Schulden und denke: Irgendwas ist schief gelaufen. Ich habe gemerkt auch: Wie viel Geld ich habe und meine Mutter zum Beispiel hatte, das stand in keinem Zusammenhang mit wie viel sie gearbeitet hat. In den Stellen und den Jobs, wo ich sehr viel gearbeitet habe und körperlich total ausgelaugt war, da habe ich am wenigsten verdient.“
Aus den stark biografisch gefärbten Äußerungen der geladenen Schriftstellerinnen und Schriftsteller wurde deutlich: Eine Leistungsgesellschaft ist Deutschland nicht. Chancengleichheit besteht nirgends, die Klassenfrage hat sich nicht erledigt. Die Soziologin Francis Seeck schlägt einen ungewöhnlichen Klassenbegriff vor:
„Ich würde meinen Klassenhintergrund als „Armutsklasse“ beschreiben. weil halt dieses Gefühl von materieller Unsicherheit sehr groß war, aber das bedeutet ja nicht, dass man nicht bildungsnah war und studiert hat. Man kann ja trotzdem auch in Armut leben.“
Eine Frage zog sich durch die fünf von Mladen Gladic moderierten Panels. Taugt der nach Diskriminierungsdebatten über Sexismus und Rassismus nun in Deutschland in Mode kommende Klassismus-Begriff für die Beschreibung einer multiplen gesellschaftlichen Wirklichkeit? Netzaktivistin und Journalistin Kübra Gürmüşay findet ihn hilfreich, zum Beispiel um die gesellschaftliche Situationen von Menschen mit Migrationshintergrund besser zu beschreiben, da in der jüngeren Vergangenheit immer versucht wurde….
„… alle gesellschaftlichen Konflikte und Debatten und Missstände irgendwie über die Folie Migrationshintergrund zu erzählen. Zum Beispiel Misserfolge im Schulsystem, Integrationsthemen .. aber Faktoren wie Klasse, Faktoren wie Armut und viele andere Faktoren, die unsere Gesellschaft ausmachen wurden ausgeblendet.“
Der neue Klassismus oder die alte soziale Frage?
Der Journalist Arno Frank wehrt sich dagegen, Klassenunterschiede zum Unterproblem allgegenwärtiger Diskriminierungs-Debatten zu erklären.
„Der Begriff Klassismus im Gegensatz zu wie es früher hieß „sozialen Frage“, bedeutet mehr Anerkennung in der Öffentlichkeit, oder so. Aber dann möchte ich mit meinen sozialen Erfahrungen nicht an dieser Kreuzung stehen, an der LGBTQ Personen oder BPoCs u.s.w. sind. Ich teile deren Erfahrungen null und ich kann mich da nicht hineinversetzen. Wenn der Begriff Klassismus auf Anerkennung „Mensch das hast du ganz toll gemacht und ja: Das ist schlimm, ich hör dir jetzt man zu“ hinausläuft, dann reicht das nicht.“
Black und People of Color, die Arno Frank im Modesprech BPoCs abkürzte, LGBT und andere Minoritäten, Genderdebatte und Sprachregelungen sind eine Sache, die Klassenfrage ist eine andere. Sahra Wagenknecht hätte Freude an dem literarischen Beistand von Arno Frank. Aber die Autorinnen und Autoren sind sich in diese Frage uneinig.
„Wenn man verstehen will, warum gibt es gerade wenig Klassenkampf? oder warum gibt es im Moment wenig Poteste von armen Menschen, von Arbeiter*innen? dann ist da Klassismus maßgeblich beteiligt auch weil es dazu führt, dass Leute sich selbst schuldig fühlen, dass Leute sich schämen und denken: Sie strengen sich nicht genug an.“
Wenn man Francis Seeck zuhört, möchte man glauben, dass es wie vor mehr als hundert Jahren wieder einer großen pädagogischen Kampagne bedarf, damit diese Klasse wieder ein Klassenbewusstsein bekommt. Einen eigenen Kulturbegriff. Das Buch „Klasse und Kampf“ zeigt facettenreich, wie schwierig ein solches Unterfangen wäre. Schorsch Kamerun hatte gleich im ersten Panel zu einer möglichen Renaissance des Klassenbegriffs angemerkt, dass der „hyperamorphe Kapitalismus“ keinen Raum mehr lässt für eine Rückkehr in alte Denkschemata.