Hijacking-Memory-Die-neue-Rechte-und-der-Holocaust

Konferenz am Haus der Kulturen der Welt
Korruption des Holocaust-Gedenkens
von Eberhard Spreng

„Hijacking Memory – The Holocaust and the New Right“ ist eine viertägige, breit angelegte und internationale Konferenz im Haus der Kulturen der Welt. Es geht um Strategien der Neuen Rechten, sich das Holocaust-Gedächtnis anzueignen und für eigene politische Ziele zu instrumentalisieren.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 11.06.2022 → Beitrag hören

Foto: Eberhard Spreng

Ein Schlüsselmoment bei der Beobachtung einer veränderten Strategie der neuen Rechten in Bezug auf die deutsche Erinnerungskultur und das Verhältnis zu Israel war der 17. Mai 2019. Der deutsche Bundestag verurteilt die Israel-Boykott-Bewegung BDS. Treiber des Entschlusses war die AfD. Über deren Strategen sagt Susan Neiman:

„Sie hatten ihre Lektion gelernt, wahrscheinlich von Steve Bannon, nämlich, dass man mit rechtextremer, rassistischer Politik durchkommt, solange man der Regierung Israels ewige Treue schwört. Also brachte die AfD eine Beschlussvorlage ein, die alle mit dem BDS sympathisierenden Organisationen verbieten würde, um so den berechtigten Verdacht zu untergraben, dass die Politik der AfD dem Neonazismus gefährlich nahe steht. Aber wir sind von der Gefahr überzeugt, die die Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs für nationalistische Zwecke darstellt, sein zynischer Einsatz, um migrantische und fortschrittliche Bewegungen anzugreifen und jüdische und palästinensische Stimmen zum Schweigen zu bringen.“

Die Haltung gegenüber Israel war auch in einem Gespräch zwischen Daniel Cohn-Bendit und dem New Yorker Publizisten Peter Beinart Thema. Letzterer bewies eloquent, welche Vorstellungen es Teilen der neuen Rechten in den USA ermöglichen, zugleich pro-israelischer Zionist und Antisemit zu sein.

„Was sie lieben ist: demografische Homogenität und Hierarchie. Das ist ihr Gesellschaftsideal. Aber dann ist Israel Vorbild. Also wollen sie die israelische Immigrationspolitik auch für die Vereinigten Staaten. Außerdem hat Israel eine klare Hierarchie zwischen Juden und Palästinensern. All das will die neue Rechte. Und dann denken sie gleichzeitig, dass die Juden in den USA ein Problem sind: Sie konterkarieren Homogenität und haben diese ärgerliche Angewohnheit, sich mit unterprivilegierten Menschen zu solidarisieren: Schwarze, Migranten, LGBT, Leute, die Hierarchien angreifen. Es ist also ideologisch durchaus möglich, zugleich Zionist und Antisemit zu sein.“

Die Konferenz fragte auch, was an den nunmehr jahrzehntealten Strategien der deutschen Gedenkkultur aus der Sicht einer fortschrittlichen Wissenschaft falsch sein könnte. Die italienische Semiotikerin Valentina Pisanty beklagt ein „Truth-Regime“ mit blindem Vertrauen in die universelle Bedeutung der Erzählung von Holocaust-Überlebenden. Von „historisch entkerntem Mitleid“ war die Rede, von der Gefahr, dass der Begriff Holocaust zu einem „Empty Signifier“, zu einer Leerformel wird, die beliebig ausgebeutet werden kann. „Who are the Nazis; who are the Jews“ hieß der Titel eines Vortrags. Die Frage ist ernst zu nehmen, nachdem jüngst erst der Kreml von der Entnazifizierung der ukrainischen Führung unter ihrem jüdischen Präsidenten Selenskyj sprach. Begriffskorruption allenthalben. Die Thematik der neuen Rechten in Russland und anderen osteuropäischen Ländern wird die Konferenz am Sonntag diskutieren.

Vom Erinnern zum historischen Begreifen

Was aber kann kritische Geschichtswissenschaft angesichts der „Memory Hijacker“ tun? Sie solle an die Stelle des Erinnerns das historische Begreifen setzen. Was er damit meint, erklärt der langjährige Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald Volkhart Knigge:

„Historisches Begreifen meint, wie Menschenfeindlichkeit politisch und gesellschaftlich produziert wird. Von Buchenwald aus war es mir immer wichtig, eher mit Museen der Kollaboration in Frankreich oder der Sklaverei in Liverpool oder anderswo zu kooperieren, wo Gruppen, Gesellschaften oder Nationen dabei sind, auch ihre Geschichte, die nicht hätte geschehen dürfen, zu bearbeiten. Diese Art der Geschichtsbearbeitung ist universalisierbar, zivilisierend, sie humanisiert und nicht etwa die Globalisierung von Holocaust-Education.“

Das „Nie wieder!“, das seit den Nachkriegsjahrzehnten aus Deutschland in die Welt schallte, würde von der Retrospektive auf die historische Einmaligkeit des Holocaust zu einer Aufmerksamkeit für ihre strukturellen Voraussetzungen. Und das gäbe der Geschichtswissenschaft die Begriffswerkzeuge in die Hand, gegenwärtige Menschenfeindlichkeit quasi in Echtzeit richtig einzuordnen. Die große Konferenz am Haus der Kulturen der Welt ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.