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Corona-Lockerungen in Frankreich
Die Theater öffnen vorsichtig
von Eberhard Spreng

Die französischen Theater bereiten sich auf ihre Öffnung nach der Corona-Pandemie vor. Dabei kämpfen sie mit zwei Problemen: Einem infektiologischen und einem politischen.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 07.07.2020 → Beitrag hören

Foto: Eberhard Spreng

„Il est à peu près acquis que l’ensemble des théâtres en France et les salles de spectacle vont rouvrir à la rentrée.“

„Es ist so gut wie sicher, dass alle Theater in Frankreich in der kommenden Spielzeit wieder öffnen“. Das sagt Stanislas Nordey, Chef des Nationaltheaters in Straßburg, eine der künstlerisch aktivsten Bühnen des Nachbarlandes und verkündet damit Optimismus für eine von Covid-19 stark gebeutelte Theaterszene. Überall im Land öffnen die Theater, so auch in Saint Denis bei Paris, eine stark von Einwanderung geprägte, sozial schwache Banlieue, deren Théâtre Gérard Philippe Julie Déliquet seit kurzem leitet.

„Wir haben das Theater Ende Mai, Anfang Juni geöffnet. Für mich sind alle Teams, von der Technik über die Verwaltung bis zu den Bühnenkünstlern, Arbeiter, wie andere Arbeiter auch. Mir war die Symbolik wichtig, dass wir alle ins Theater zurückkommen.“

Wie genau Abstandsregeln eingehalten werden sollen, unter welchen Bedingungen die Häuser ab September spielen sollen, an diesen Details tüfteln derzeit alle Theaterleute. Dabei ist die finanzielle Notlage infolge der Covid-19-Krise für die Privattheater unvergleichlich komplizierter, denn sie müssen einen viel größeren Anteil ihres Jahresbudgets aus Kasseneinnahmen erzielen als die öffentlichen Häuser. Die „Scala“, ein junges Privattheater mit den künstlerischen Ansprüchen eines öffentlichen, wird von Frédéric Biessy geleitet.

„Wenn man uns vorschreibt, dass wir jeden zweiten Platz frei lassen müssen, dann werden wir uns daran halten. Klar ist, dass die Gagen bei 50% Belegung nicht so hoch sein können wie zuvor. Auch dem Publikum werden wir seinen Beitrag abverlangen: Für Künstler unseres Niveaus müssen sie dann etwas mehr bezahlen also zuvor.“

Am Odéon, dem führenden Pariser Staatstheater mit europäischem Auftrag, rätselt Intendant Stéphane Braunschweig über die Programme der kommenden Spielzeiten und darüber, wie möglichst viel von den ursprünglichen Plänen gerettet werden kann.

„Einige Stücke werden wir nicht mehr im Spielplan unterbringen können. Die werden ihr Publikum also nicht mehr erreichen. Einige versuchen wir auf kommende Spielzeiten zu verschieben. Aber dann müssen andere gestrichen werden.“

Andernorts wird der corona-bedingte Stückestau zu einem besonders dichten Programm führen, so im Straßburger Nationaltheater des Stanislas Nordey.

„Wir verschieben einige Aufführungen, aber wir haben entschieden, alle unsere Projekte zu realisieren, auch um den beteiligten Künstler zu helfen. Verschiebungen und Streichungen wollten wir vermeiden. Das erklärt die große Zahl von 20 neuen Produktionen.“

Entfremdung zwischen Politik und Kultur

Für den französischen En-Suite-Spielbetrieb sind 20 Spielplanpositionen, davon 9 genuin Straßburger Premieren und Uraufführungen, beachtlich. Aber dieses „Déconfinement“ ist keine Rückkehr in die Normalität von früher, denn das französische Theater kämpft zugleich mit einer infektiologischen und einer politischen Krise. Mehrere offene Briefe von prominenten Kulturmenschen hatten ein stärkeres Engagement der Regierung gefordert. Jüngst erst hat Olivier Py, Direktor des gecancelten Festival d’Avignon an die zentrale Rolle der Kultur für eine lebendige Demokratie erinnert. Ariane Mnouchkine, Gründerin des legendären Théâtre du Soleil sprach davon, dass man schlecht regiert werde. Ein Treffen Macrons mit Vertretern der Szene, unter ihnen der Straßburger Intendant Stanislas Nordey, hat die Entfremdung der aktuellen Exekutive und der Kulturszene nur teilweise überwunden. Da kündigte Macron zusätzliche Fördergelder für ein Sommerprogramm an, an dem auch Nordey in Straßburg teilnimmt:

„In diesem Sommer werden wir, entsprechend des Vorschlags von Präsident und Kulturminister, Teil des „Kultur- und Bildungssommers“ sein. Künstler und Publikum sollen sich im Rahmen von offenen Proben begegnen, in Workshops, Schreibwerkstätten, Straßentheateraufführungen in der Stadt, auf dem Land, und in den Altersheimen.“

Auch Julie Deliquet plant in ihrem sozial schwachen Saint Denis Theaterworkshops für Familien, Kinder und Jugendliche. Die Kultur soll an den Rändern der neoliberalen Gesellschaft sozialpflegerisch da reparieren, wo sich der Staat aus seiner sozialen Verantwortung gestohlen hat. Insgeheim einer von Macrons kulturpolitischen Plänen seit dem Beginn seiner Amtszeit. Wie das seuchentechnisch ausgeht, weiß keiner. Frédéric Biessy mahnt für die kommenden Monate Improvisationsgeist an:

„Entweder listet man die Notlagen und Unmöglichkeiten auf, packt dann noch all unsere Ängste drauf und sagt dann: Da eine Rückkehr in die Normalität nicht möglich ist, lassen wir den Laden zu. Oder man erinnert sich an die besten Traditionen des Berufs des Theaterdirektors. Und dann öffnen wir im September, im Vertrauen darauf, dass wir die Lösungen schon finden werden.“