Felwine Sarr und Judith Butler diskutieren über Gastfreundschaft in repressiven Zeiten

Debatte über Gastfreundschaft
Jeden Tag eine Dosis Hass
von Eberhard Spreng

In Zusammenarbeit des Pariser Herbstfestivals mit dem Centre Pompidou veranstaltet der senegalesische Intellektuelle, Wirtschaftswissenschaftler und Musiker Felwine Sarr eine Debatte mit der us-amerikanischen Sozialwissenschaftlerin Judith Butler über die „Cosmopolitique de l’hospitalité“ – einer Kosmopolitik der Gastfreundschaft.

Deutschlandfunk – Kultur Heute, 21.10.2025 → Beitrag hören

Felwine Sarr und Judith Butler diskutieren. Foto: Nadège le Lezec

Zu einer Debatte über ein grundlegendes Menschenrechtsthema treffen im voll belegten großen Saal des Théâtre de la Ville Felwine Sarr und Judith Butler zusammen. Der senegalesische Intellektuelle formuliert dies als Frage:

„Kann man ein ethisches Gebot, also die gesellschaftliche Tradition, einen Ankömmling als Gast zu begrüßen, in ein Gesetz verwandeln? Kann man vom Gebot der Gastfreundschaft zum Recht auf Gastfreundschaft kommen?

Fewine Sarr plädiert unter dem Debattenobertitel „Une vie commune“, „ein gemeinsames Leben“ für eine kosmopolitische Version des Zusammengehörigkeitsgefühls. Judith Butler versteht die hierfür notwendige Öffnung für fremde Weltbilder als ein Gebot der Stunde.

„Es ist die Welt, die uns abverlangt, das wir über Grenzen hinausdenken, Grenzziehzungen auch zwischen Disziplinen, Wissenschaften und Künsten überschreiten. Wenn unsere Welt Bestand haben soll, dann nur über das Zusammenwirken verschiedener Sichtweisen, Wissenssysteme und Gefühlswelten.“

Angesichts der wachsenden Intoleranz der nach rechts abdriftenden Gesellschaften ist das Vorhaben des senegalesischen Intellektuellen ambitioniert. Es entspringt einer humanistischen Denkwelt, die derzeit lauter Rückschläge erlebt. In diesen erkennt Judith Butler aber durchaus auch produktive Züge.

„Das Gefühl des Kummers macht uns deutlich, was uns wichtig ist. Was wir retten wollen, wofür und mit wem wir leben wollen, mit welchen Tieren und mit welchen anderen Lebensformen.“

Der von der Berkeley Professorin Debarati Sanyal nur wenig gelenkte Dialog von Sarr und Butler betonte kurz die Notwendigkeit eines Umdenkens, das ein globales Gastrecht begleiten müsste.
Dazu gehört auch die Notwendigkeit, tief verankerte neuronale Strukturen zu verändern.

„Die Angst, existenzielle Bedürfnisse nicht befriedigen zu können, entsteht im so genannten Striatum. In längst vergangenen Zeiten erlaubte es uns das Überleben. Aber heute ist die Frage, wie wir diese archetypischen Ängste überwinden lernen.“

Hindernisse allenthalben. Denn wie aktuelle rechte Bewegungen Ängste für ihre politischen Ziele instrumentalisieren, wurde in der Debatte immer mehr Thema, vor allem für Judith Butler mit dem Blick auf ihr Heimatland.

„Die Grausamkeit, mit der die Trump-Administration vorgeht, ist schamlos und versucht gar nicht erst, das zu verbergen. Transgression ist ein rechtes Phänomen. Schamloser Sadismus ist eine Figur des aktuellen faschistischen Fühlens und mit medialer Spiegelung fest verbunden.“

Das Gefühl des Hasses wurde gesellschaftsfähig und Felwine Sarr bedauert, wie sehr diese nicht nur in sozialen Medien kultivierte Charakterstörung nun um sich greift.

„Solche Prozesse wirken schon seit einiger Zeit in unseren Gesellschaften, aber wir haben die Gefahr unterschätzt, die von ihnen ausgehen. Im diskursiven Raum, in der Sprache und in den Medien ist den Menschen jeden Tag eine kleine Dosis Hass verabreicht worden.“

Die Begegnung Butler/Sarr konnte in der anschließenden Fragerunde mit Publikum gar nicht anders, als aktuelle Politikfelder zu reflektieren, in einer geopolitischen Gemengelage, dem Krieg in Nahost und internationaler Organisationen wie den Vereinten Nationen.

„Wir sehen dass Francesca Albanese als „UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechtslage in den Palästinensergebieten“ kriminalisiert wird. Ähnliches gilt für den internationalen Strafgerichtshof, wenn er Verbrechen gegen die Menschlichkeit behandelt, die der Staat Israel begeht.“

Wie ließe sich Widerstand organisieren, wurden die beiden Intellektuelle gefragt und wo bleibt der Protest in den USA, eine Frage, die Judith Butler mit einer überraschenden Wendung beantworte.

„Ich selbst bin in verschiedenen aktivistischen Bewegungen. Einige von ihnen müssen sich bedeckt halten, um sich vor Zensur zu schützen. Wenn sie also auf die USA schauen und fragen: Wo bleibt der Widerstand? Dann müssen sie wissen, dass dieser sich nur teilweise öffentlich artikulieren kann. Wir lernen gerade die Kunst des Untergrunds.“

Es begann mit der Frage nach einem noch utopischen Weltbürgerrecht, es endete mit der Frage, wie man demokratische Reste vor disruptiver Politik retten kann. So blieb die eingangs gestellte Frage letztlich ohne eine klare Antwort.