24. Triennale in Mailand
Der Mensch ist ungleich geboren
von Eberhard Spreng
Die Mailänder Triennale, die bis zum 9. November in 24 Ausstellungsschwerpunkten und 19 Länderpavillons veranstaltet wird, versammelt Kuratoren, Wissenschaftler und Künstler rund um das Thema „Inequalities“.
Deutschlandfunk, Kultur Heute und Deutschlandfunk Kultur, Fazit – 15.05.2025 → Beitrag hören

„Ministerium der Schlafgleichheit“, „Ministerium der Ernährungsgerechtigkeit“, „Ministerium der persönlichen Aufgaben“. Kleine runde Themeninseln im Obergeschoss des Mailänder Palazzo dell’Arte bilden eine fiktive Republik der Langlebigkeit, die den Blick dafür schärft, was für ein langes, glückliches Leben entscheidend ist. Kuratiert hat dies der Direktor des italienischen Designmuseums, Marco Sammicheli.
„Diese Triennale behandelt das Thema der Ungleichheiten auf zwei Ebenen: Geopolitisch und Biopolititisch. In meiner Republik der Langlebigkeit gehe ich über die klassische Medizin und die staatliche Krankenvorsorge hinaus. Auf Genetik, Biologie und Politik haben wir keinen Einfluss, auf individuelles Verhalten aber schon.“

Diese Ideensammlung für eine alternde Gesellschaft ist humorvoll verspielt und dies ist eine Ausnahme einer Schau, in der an Schnittpunkten von Wissenschaft, Architektur, Kunst und Design gewaltige Menschheitsaufgaben behandelt werden. Auf dem Papier mag Gleichheit vor den Gesetz gelten; die Lebenswirklichkeiten sehen anders aus.

Ein Video dokumentiert den verheerenden Brand des Londoner Grenfelltowers, dessen billiges, brandgefährliches Dämmmaterial 72 Menschen, überwiegend mit Migrationshintergrund, das Leben kostete. Ein Inferno, in dem sich rassische Ungleichheiten offenbaren. Lebensumstände für arme Menschen mit den Mitteln der Architektur zu verbessern, macht sich die Norman Foster Foundation zum Ziel. Der Architekt sagt.
„Wir zeigen Projekte wie z.B. eine wilde Siedlung im ländlichen Indien, die von innen her erneuert werden soll, statt vom Bulldozer platt gemacht zu werden. Oder Flüchtlingscamps, wo langlebigere Materialien im Gegensatz zum Zelt ein würdigeres Leben ermöglichen.“

Norman Foster vertritt noch ein Engineering, das sich für fähig hält, Menschheitsprobleme zu lösen. Ein anderer großer Ausstellungsschwerpunkt weist die menschliche Weltgestaltung in enge Grenzen: Er erzählt vom Bakterium als dem mächtigsten Baumeister der Erdgeschichte. Es ist Vorbereiter von Flora und Fauna und hat den Lebensraum Erde mehr als jede andere Lebensform geprägt. Architekt Mark Wigley schlägt daher eine neue Sichtweise auf Mikroben vor:
„Wir müssen über den Menschen hinausdenken, ihn anders betrachten: Als mobiles Ökosystem, bewohnt von Massen von Bakterien, und abhängig von einer zutiefst bakteriell beherrschten Welt. Wir brauchen eine neue Denkweise, in der Bakterien als Helfer gesehen werden und nicht als Feinde.“

Was dies für Architektur bedeutet, erzählt eine große Ausstellungshalle im Mailänder Palazzo dell’Arte. Zeitgenössische Kunstpositionen bezogen in den letzten Jahren das Bakterienthema bereits in ihre Installationen ein. Die Triennale unterfüttert dies nun wissenschaftlich. So erklärt Beatriz Colomina von der Princeton University die Bedeutung einer gesunden Symbiose von Mensch und Bakterium.
„Gesundheit wird immer mehr mit dem Mikrobiom, der Darmflora in Verbindung gebracht, die uns ernährt und schützt. Viele unserer Leiden sind Folgen des Verlustes an bakterieller Vielfalt. 2050 wird dies die Todesursache Nummer eins sein. Einige Wissenschaftler halten diese Krise für bedeutender als die Klimakrise.“
„Wir sind alle ungleich geboren“ mit diesen provozierenden Worten beginnt das Grußwort des Triennalepräsidenten Stefano Boeri. Er versteht die Inequalities“- Schau als Abschluss einer Trilogie. Nach „Broken Nature“ vor sechs und „Unknown Unknows“ vor drei Jahren.
„Broken Nature zeigte den Versuch des Menschen, Umweltschäden zu reparieren. Sie ging von einen binärem Gedanken aus: Mensch und Kultur auf der einen, Natur auf der anderen Seite. Drei Jahre später waren wir in der Covid-19 Pandemie. Ein Virus widerlegte diese Sichtweise: Die Natur ist mitten in uns, unvorhersehbar, aggressiv. Wir begriffen: Die Masse unseres Wissens ist viel kleiner als die unseres Nicht-Wissens. „Inequalities“ ist nun der nächste Schritt: Ohne Ungleichheiten zu berücksichtigen, kann kein ökologischer Wandel gelingen.“
Zahllose Wissenschaftler haben in den letzten Jahren vorgeschlagen, unser Zeitalter als Anthropozän zu begreifen; diese Triennale rückt dies in einen umfassenderen erdgeschichtlichen Zusammenhang. Trotz aller aktuellen Krisen, die durch Ungleichheiten hervorgerufen werden, weht ein leichter Optimismus durch die Schau. Voraussetzung für seine Zukunft: Der Mensch sollte sich nicht als Baumeister, Ingenieur und Designer verstehen, sondern als Kurator und Treuhänder einer Welt, von der er nur ein kleiner Teil ist.